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[Kirche von Unten]

Zum Hitlerbild in der Deutschen Evangelischen Kirche

und

Ein Beitrag zur Kirchlichen Mitte

von Dietrich Kuessner

(Download des Buches einschließlich Anmerkungen als pdf hier)



Karikatur Hitlers Nachtgebet
Schon vor 1933 wurde die religiöse Pose Hitlers aufgespießt. Hier von der sozialdemokratischen Satirezeitschrift „Der wahre Jacob“ am 13.Februar 1932. Der Nazikommentar aus dem Jahr 1933 neben der Zeichnung lautete:
„Was hier der wahre Jacob schrieb / erfüllt sich schneller als ihm lieb /
und es erkennt der Antichrist / daß Gottes nicht zu spotten ist.“


Zum Einstieg

Diese Arbeit ist für alle gedacht, die darüber staunen, dass ihre christlichen Eltern und Großeltern Mitläufer bei den Nazis waren. Davon hatten sie nie geredet.
Der unmittelbare Anstoß zu diesem Thema kam von der Entdeckung, dass Theo Kuessner, mein Vater, in dem von ihm geführten Diakonissenmutterhaus nach der Rückkehr als Soldat 1943 erklärte: im Mutterhaus werde ab  jetzt mit „Heil Hitler“ gegrüßt. Das wirkte für manche Diakonisse wie ein Schock. Eine hoch betagte Schwester erzählte mir diese Geschichte. Sollte die Oberin ihre Schwestern auf den Fluren des Mutter- oder Krankenhauses nun plötzlich statt mit „guten Tag“ „mit Heil Hitler“ grüßen? Unvorstellbar komisch. Aber wie kam mein Vater dazu? Hatte der Kriegsdienst auf dem Balkan ihn derart verändert?  Sein jüngerer Bruder, mein Onkel Helmut, zeigte sich im Frühjahr 1933 als junger Dorfpfarrer von Hitler ziemlich angetan. So schrieb er seiner Mutter in Briefen, die sein jüngster Sohn Hinrich jetzt las. Einige Briefausschnitte sind wegen ihrer hohen Authentizität in diese Arbeit eingestreut.

Was also? Sollen wir uns entsetzen? Nein, gar nicht. Aber nüchtern und mal wieder gegen den Trend der kirchengeschichtlichen Forschung eine Spur verfolgen, die uns die damalige Zeit und Generation verständlicher macht. Außerdem sind wir alle Kinder der Nachkriegs- und folgenden Zeit, in der uns Dinge über die nationalsozialistische Zeit erzählt wurden, die – vorsichtig ausgedrückt – unvollständig waren. Einseitig ganz bestimmt.
Ich hatte in einem  Vortrag 1980 im Braunschweiger Städtischen Museum vom Hitlerstaat als einer „christlichen Diktatur“ gesprochen. Das erzeugte Aufmerksamkeit, und eine Pfarrerin in meiner Nachbarschaft sagte mir: „Jetzt verstehe ich meinen Vater besser“. Er war Parteigenosse, aber Christ geblieben. Beides suchte er zu vereinen,  Christentum und Nationalsozialismus. Das war damals in sehr vielen Kirchengemeinden die Regel und auch in manchen Kirchenleitungen.

Die vom Würzburger Archivar Max Domarus in vier Bänden gesammelten und kommentierten Reden Hitlers enthalten zahlreiche religiöse Redensarten Hitlers, die zusammenfassend m.W. noch nicht behandelt worden sind. Wie haben Männer der  evangelischen  Kirche auf das christliche Vokabular Hitlers reagiert? Die unterschiedlichen Antworten werden im ersten Hauptteil behandelt.  

Bei dem Versuch, das Hitlerbild in der Deutschen Evangelischen Kirche zu beschreiben, stößt man auf folgende festgezurrte Urteile:
a) Hitler habe die christlichen Kirchen nach einem „Endsieg“ vernichten wollen. Um während des Zweiten Weltkrieges hinter der Front keine oppositionelle Gruppe aufkommen zu lassen, habe Hitler zwar mit der Kirche eine Art „Burgfrieden“ geschlossen und  kirchenfeindliche Aktionen einstellen lassen. Dieser Burgfriede sei aber nur taktisch bedingt gewesen. Nach dem „Endsieg“ hätte Hitler sein „wahres kirchenfeindliches Gesicht“ gezeigt.

b) Christliche Kirche und Nationalsozialismus seien strukturell von vorneherein feindselig zueinander eingestellt gewesen. Beide beanspruchten von ihrem Glauben und ihrer Ideologie für sich den ganzen Menschen. Diese Ansprüche prallten im Alltag aufeinander und schufen schon seit 1933 Konflikte, die mit der Zeit heftig eskalierten.

c) Die Kirche habe daher grundsätzlich einen „Kirchenkampf“ gegen den Nationalsozialismus führen müssen. Es erschienen seit den 60iger Jahren über 30 Bände zur damaligen Kirchengeschichte unter dem Gesamtthema „Kirchenkampf.“  Kurt Meiers dreibändiges Werk „Der Kirchenkampf“ ab 1976 kann als Abschluss dieser Phase gelten.

d) Hitler sei die Personifizierung des Dämonischen, eine unheimliche, unbezähmbare Macht des Bösen, des Satanischen gewesen, die in seiner menschenverachtenden und zügellos menschenvernichtenden Politik seinen Ausdruck gefunden habe.

Dieses Meinungsbild wurde in den 50er-, 60er und 70er Jahren prominent vertreten. Man konnte dafür auch viele  Gründe herbeiziehen, und es wird teilweise heute noch im Zuge einer allgemeinen theologischen Reaktion vertreten. Es ist aber durch den fortschreitenden Forschungsstand aufgebrochen und teilweise überholt worden. Eine blockartige, einheitliche nationalsozialistische Kirchenpolitik hat es nicht gegeben. Der krassen kirchenfeindlichen Kirchenpolitik Rosenbergs, Himmlers und Bormanns trat der Kirchenminister Hanns Kerrl entgegen, der das Christentum in den nazistischen Staat integrieren wollte. Der Begriff des Kirchenkampfes wird vorwiegend auf die Auseinandersetzung zwischen der Bekennenden Kirche und den Deutschen Christen eingeschränkt und wird zwischen der Kirche und dem Nationalsozialismus bestritten.

Friedrich Heer hat 1968 ein umfangreiches Buch über „Der Glaube des Adolf Hitler“ veröffentlicht, Rainer Bucher 2008 über „Hitlers Theologie“. Darüber ist hier nichts zu lesen, es geht mir nicht um die Erforschung eines möglichen religiösen Innenlebens Hitlers, sondern: was die Zeitgenossen damals aus Hitler gemacht haben, wie sie ihn sahen und sehen wollten. Wie sie ihn sich zurechtmachten. Auch wie Hitler sich selbst zurechtgemacht hat. Welche Rolle hat er nach außen entwickelt, und hat man sie ihm abgenommen? Ganz gewiss hat Hitler viele, unterschiedliche Rollen eingenommen, je nach seinem Gesprächspartner. Unter den vielen Rollen war gelegentlich auch die eines Kanzlers mit volkskirchlichen Vokabeln. Wie kam es dazu? Wie hat sie gewirkt?

Die Arbeit richtet sich auch an  die gegenwärtig amtierende Pfarrerinnen- und Pfarrergeneration. „Wir verlieren gerade die Tuchfühlung mit der Vergangenheit“, titelte die Literarische WELT am 15. Dezember 2018 zu einem Gespräch mit Geraldine Schwarz, die ein Buch über die Verstrickungen ihrer  Familie ins Vichy- und NS-Regime geschrieben und dafür den Europäischen Buchpreis erhalten hat. Das Buch hat den Titel „Die Gedächtnislosen. Erinnerungen einer Europäerin.“ „Warum Gedächtnislosigkeit ein Vakuum erzeugt, das nur den Rechtspopulisten nützt“, ergänzte die WELT.

Auch die Veränderungen in der Struktur der Kirchengemeinden, in den alten Archivbeständen der Kirchengemeinden, auch die Veränderungen in der Vikarsausbildung haben das Verhältnis der neuen jungen Pfarrerinnen- und Pfarrergeneration zur Geschichte unserer Braunschweigischen Landeskirche verändert, womöglich gelockert. Da will ich gerne etwas gegensteuern.   

Schließlich bedarf die  folgende Darstellung einer  Klarstellung,



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Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Hitlerbild/, Stand: Dezember 2020, dk