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[Kirche von Unten]

Zum Hitlerbild in der Deutschen Evangelischen Kirche

und

Ein Beitrag zur Kirchlichen Mitte

von Dietrich Kuessner

(Download des Buches einschließlich Anmerkungen als pdf hier)




Die Kirche unterstützt den außenpolitischen Kurs Hitlers beim Einmarsch deutscher Truppen in das entmilitarisierte Rheingebiet im März 1936 und erneuert die Koalition mit der Hitlerregierung.
Die unter dem Einfluss von Alfred Rosenberg stehende Deutsche Glaubensbewegung startete im Frühjahr 1935 eine wüste Kampagne gegen die evangelische Kirche. Die Synode der altpreußischen Union wehrte sich mit einer sehr deutlichen Kanzelabkündigung. „Wer Blut, Rasse und Volkstum an Stelle Gottes zum Schöpfer und Herrn der staatlichen Autorität macht, untergräbt den Staat.“ Die Kanzelabkündigung wurde sofort vom Innenminister verboten. In einer großangelegten Polizeiaktion wurden mehr als 500 Pfarrer für einige Tage verhaftet, um die Verlesung zu unterbinden, fünf Pfarrer wurden für einige Wochen ins KZ Dachau, 22 Pfarrer in das Schutzhaftlager Sachsenhausen verschleppt. Anfang Juni waren alle Inhaftierten wieder frei. Aber die betroffenen Kirchengemeinden wurden hellhörig. Die lutherischen Landeskirchen Bayern und Hannover indes fanden die scharfe Kritik unvorsichtig und undiplomatisch und unterließen eine Kanzelabkündigung,

Am 7. März 1936 ließ Hitler deutsche Truppen völkerrechtswidrig in die durch den Versailler Vertrag entmilitarisierte Zone des Rheinlands einmarschieren. Diese entmilitarisierte Zone beiderseits des Rheins war ein wundervolles Friedensprojekt. Zehn Jahre lang, bis 1929, hatten französische, englische und niederländische Truppen  den Bereich militärisch beherrscht und waren dann unter dem Jubel der Bevölkerung abgezogen. Die Reichswehr durfte vertragsgemäß nicht nachrücken, sondern das rechts- und linksrheinische Gebiet von Mainz bis Köln blieb entmilitarisiert, ein ideales Gelände für derzeitige Friedensinitiative. Aber „wehrlos sei ehrlos“ war das rachsüchtige Schlagwort und schuf eine vergiftete Atmosphäre für eine Änderung der Situation. Wie schon beim Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund  am Jahresende 1933 war die Reaktion Frankreichs und Englands ungewiss, die im Falle einer militärischen Antwort Englands und Frankreichs zu einer schweren außenpolitischen Schlappe Hitlers und zu einer Regierungskrise hätte führen können, denn die Generäle hatten abgeraten und die Kabinettsmitglieder gezögert.

Am selben Tag, dem 7. März, unterbreitete Hitler vor der braunen Reichstagskulisse sog. Friedensangebote. Er schlug Frankreich eine beiderseits des Rheins  kontrollierte, entmilitarisierte Zone vor. Das war nach dem Einmarsch deutscher Truppen in das Rheingebiet wenig glaubwürdig. Immer wenn Hitler vom Frieden redete, dachte er an Krieg. Er brauchte die Entmilitarisierung des Rheinlandes für seine eigenen militanten Aufmarschpläne und den freien Zugang zu den Rheinbrücken in Köln, Koblenz  und Mainz. Er benutzte einen Freundschaftsvertrag zwischen Frankreich und der Sowjetunion, um vor einer Bolschewisierung Frankreichs und  Europas zu warnen.

Der Jubel in der deutschen Bevölkerung im Rheingebiet über den Truppeneimarsch und über die angebliche Wiederherstellung der „deutschen Ehre“ war grenzenlos. Die Ehre nistete auf den Gewehrläufen.


Karikatur Doppelgesicht


Die auffälligste Wandlung Hitlers im Frühjahr 1933 war für Außenstehende die eines schrecklich gröhlenden Parteiführers, gelegentlich mit einer Hundepeitsche, zu einem seriösen Politiker in schwarz, mit Schlips und Kragen, sogar im „Stresemann“, wie man damals die gestreiften Hosen nannte. Hitler säuselte vom Frieden in Europa. Aber es gelang ihm gegenüber dem Ausland nicht, diese Rolle glaubwürdig zu vertreten. Innenpolitisch hatte Hitler das Deutsche Reich in ein Kriegsgebiet gegen sozialdemokratische, kommunistische und jüdische deutsche Staatsbürger verwandelt. Glaubwürdigkeit, dieses wichtige Gut in den außenpolitischen Beziehungen, hatte er von Anfang nicht erworben.
Das Ausland nahm die Doppelrolle Hitlers viel schärfer wahr als die Männer der evangelischen Kirche. Säbel, Gewehr, Stiefel, Gasmaske, eine zur Kralle mit Patronen entstellte rechte Hand und der kommandierende, weit geöffnete Mund waren die Ausrüstung des furchterregenden „Friedensstifters“ Hitler. Wer war der wahre? Diese Frage stellte die Pariser Zeitung „Le Rempart“ im November 1933.




Die Reaktionen aus der evangelischen Kirche auf die verlogene Reichstagsrede Hitlers waren positiv. Die evangelischen Kirchen befürworteten ausnahmslos diese riskante Politik Hitlers. Der Vorsitzende des Reichskirchenausschusses, Generalsuperintendent Zoellner, schickte noch am Tag der Rede Hitlers vor der Reichstagskulisse an Hitler folgendes Telegramm:
„Tief ergriffen von dem Ernst der Stunde und von der festen Entschlossenheit des aus seiner Verantwortung vor Gott handelnden Führers steht die deutsche Evangelische Kirche freudig bis zum letzten Einsatz für des deutschen Volkes Ehre und Leben bereit.“


Der Reichsbund der Deutschen Evangelischen Pfarrervereine, deren  Vereinsführer sich in Berlin versammelt hatten, unterstützte in einer Entschließung das Telegramm Zoellners. „Sie haben sich die Treuekundgebung für den Führer in dieser Entscheidungsstunde unseres Volkes vollinhaltlich zu eigen gemacht.

Hitler hatte in seiner Rede am 7. März 1936  die Auflösung des Reichstages und eine „Abstimmung“ der deutschen Bevölkerung am 29. März angekündigt.

Mit einem beispiellosen Aufwand überzog die Nazielite die deutsche Bevölkerung mit einem Propagandagetöse und schwärmte drei Wochen lang in die Hauptstädte aus und suchte sie in Massenversammlungen für die Gewaltpolitik Hitlers, die als Friedenspolitik vorgetäuscht wurde, zu überzeugen. Aus Betrieben, Vereinen, den Formationen der Partei wurden die Menschen zusammengezogen und zu Zehntausenden in berauschende, für Viele unvergessliche Gruppenerlebnisse versetzt. Die Reden Hitlers wurden durch Lautsprecher auf Plätze und Straßen übertragen, um die sich Menschentrauben bildeten und in einem „Gemeinschaftsappell“ den Tiraden Hitlers lauschten und sich betäuben ließen.   
In dieses Rauscherlebnis wurden auch weite Kreise der kirchlichen Bevölkerung hineingesogen.

Die Leitungen der in den betroffenen Gebieten gelegenen Landeskirchen sprachen Empfehlungen für ihre Gemeindemitglieder aus.
Der Landesbischof der pfälzischen Landeskirche Diehl schrieb zur Abstimmung: „Wir, die wir die Jahre harter Knechtschaft und fremder Bedrückung erlebt haben, danken aus übervollem Herzen dem ewigen Gott, dass er dieses Wunder vor unseren Augen dem Führer hat gelingen lassen und bitten um seinen Segen auch weiterhin für Führer und Volk. Alle Glieder der protestantischen Kirche der Pfalz stehen wie bisher so auch am 29. März und in der Zukunft in unerschütterlicher Treue und Opferbereitschaft hinter dem Führer in der Gewissheit, damit Gottes Willen zu erfüllen“.

Der Landeskirchenausschuss der evangelischen Kirche von Hessen-Nassau ließ verlauten: „Kaum ein anderes Gebiet des Vaterlandes hat die Schmach der Besatzungszeit so durchlitten wie das unserer evangelischen Landeskirche Hessen-Nassau. Unsere Pfarrer und Gemeinden wissen, was uns Gott  durch den Führer damit geschenkt hat, dass die Wacht am Rhein wieder vom deutschen Heere gehalten wird. Sie werden am 29. März ihre Dankbarkeit beweisen. Der Landeskirchenausschuss der ev. Kirche von Hessen- Nassau“.  

Der Landeskirchenausschuss der sächsischen Landeskirche erließ am 18. März folgende Verordnung: „Der Führer hat in einer Stunde weltpolitischer Entscheidung das Deutsche Volk aufgerufen, sich erneut hinter ihn und sein Werk zu stellen. Mit selbstverständlicher Treue leistet die evangelisch-lutherische Landeskirche Sachsens diesem Ruf Folge. Sie bittet Gott, dass er dem Führer in seinem schweren Kampfe um Deutschlands Freiheit und Ehre wie bisher Kraft und Gelingen schenke und erwartet von ihren Gliedern, dass jeder seine Stimme dem Führer gibt.“

Der Landesbischof von Schleswig-Holstein Paulsen bekundete, dass die Gemeinden  ihre Treue und Dankbarkeit gegen den Führer erweisen werde. „Wir haben seit Beginn des Dritten Reiches in Frieden und Sicherheit neue Kirchen bauen können. Auf den großen Tag, der Deutschlands Recht und Ehre und Freiheit von den letzten Schatten befreite, wird jeder echte Christ am 29. März antworten, wie der Führer es erwartet. Gott segne unsern Führer und den Tag, da das ganze Volk den Dank für solche Führung kundgeben kann und wird.“

In der thüringischen Landeskirche hörten die Gottesdienstbesucher folgende Kanzelabkündigung: Jeder wahlberechtigte Mann und jede deutsche Frau habe vor der ganzen Welt ein freudiges Zeugnis abzulegen, und zwar in persönlicher Verantwortung für Deutschland, „dem in Nacht und Not durch Gottes Gnade ein wirklicher Führer zu neuem Aufstieg zu Freiheit und Ehre geschenkt wurde.“ Die Gottesdienstbesucher sollten bezeugen, dass „Adolf Hitler Deutschland und Deutschland Adolf Hitler sei.“

Dem Landesbischof August Marahrens waren von einigen Hannoverschen Pfarrern Bedenken vorgetragen worden: eine Zustimmung könnte von Parteikreisen als Zustimmung zu kirchenfeindlichen Bestrebungen auf dem Gebiet der Schule missverstanden werden oder auch von solchen, die die Kirche bewusst ablehnten und die Kirche aus der Öffentlichkeit ausschalten wollten,  Marahrens versprach seinen Amtsbrüdern, diese persönliche Not durch den Kirchenminister dem Führer vorzutragen. Im übrigen aber war Marahrens beeindruckt  von dem „groß angelegten Friedensplan“ des Führers. Die Kirche könne sich „mit freudigem Wollen dankbar zu dem Ruf unseres Führers stellen, der vorbildlich in der selbstlosen Hingabe an sein eigenes Volk erneut erklärt hat, auf der Grundlage der Gerechtigkeit, der Ehre und Freiheit den Frieden zu wollen.“

Auch der württembergische Landesbischof Wurm empfahl seinen Pfarrern in einem Schreiben zwar eine Zustimmung am 29. März, denn der Entschluss des Führers sei mutig, er bejahe auch den „großzügigen Plan zur Befriedung Europas“, und die warnenden Worte gegenüber dem Bolschewismus, aber Wurm sprach auch von den „mannigfachen schweren Angriffen auf die christliche Kirche und den christlichen Glauben, wie sie in Wort und Schrift heute geschehen,“ ebenfalls von einer Schulung der Jugend, die in einem scharfen Gegensatz zu den Grundwahrheiten des Evangeliums gestellt werde.

Hitler war in alle Großstädte Deutschland gereist und hatte zu Hunderttausenden gesprochen, ebenso wie die gesamte Naziprominenz. Er beschloss seine Propagandareise am 28. März 1936 in den Kölner Messehallen. Bei Eintritt läuteten die Glocken des Kölner Domes. Hitler beendete seine Rede wieder ausdrücklich in der Sprache eines christlichen Staatsmannes:
„Meine deutschen Volksgenossen, wir haben vor unserer eigenen Geschichte und auch vor unserem ewigen Herrgott sehr viel wieder gut zu machen. Die Vorsehung hatte uns ihren Schutz entzogen. Unser Volk ist gestürzt, so tief gestürzt, wie kaum ein zweites Volk zuvor. In dieser schweren Not, da haben wir wieder beten gelernt, da haben wir gelernt, unsern Herrgott zu achten, da haben wir wieder geglaubt an die Tugenden eines Volkes ...Dieses Volk  kann heute nicht mehr verglichen werden mit dem Volk, das hinter uns liegt... Die Gnade des Herrn wendet sich jetzt uns wieder langsam zu.
In dieser Stunde, da sinken wir in die Knie und bitten den Allmächtigen, er möge uns die Kraft verleihen, den Kampf zu bestehen für die Freiheit und die Zukunft und die Ehre und den Frieden unseres Volkes, so wahr uns Gott helfe.“

Das war auf den Schluss der Massenveranstaltung abgestimmt, denn mit dem Ende der Rede Hitlers setzten erneut die Glocken des Kölner Doms ein, und ein großer Männerchor sang den Choral „Wir treten zum Beten vor Gott, den Gerechten“, alle drei Strophen. Die Zeitungen hatten den Text ausgedruckt mit dem Vermerk „Bitte ausschneiden und aufheben“, denn nun sollten alle Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Straßen und Plätzen mit einstimmen und das Gefühl haben, zusammen mit dem Führer vor Gott, den Gerechten zu treten.  „67 Millionen singen das Niederländische Dankgebet,“ titelte der Völkische Beobachter noch am 29. März. Offensichtlich wurde auf den Straßen und Plätzen, in denen die Partei die uniformierten Mitglieder zum Gemeinschaftsempfang hinbestellt hatte, der Choral mitgesungen.

Goebbels notierte in seinem Tagebuch die Stimmung folgendermaßen. „Fahrt zur Messehalle. Alles noch überboten. Dann spricht der Führer. Ein ergreifendes Glaubensbekenntnis. Zum Schluss Anrufung Gottes. Das Dankgebet. Von der ganzen Nation gesungen. Machtvoll und groß. Dazwischen die Glocken. Mir rinnen die Tränen. Große Stunde! Große Zeit! Großer Führer!“

Die zahlreichen „Wahl“empfehlungen der Kirchenbehörden und die Aufrufe in den Gemeindeblättern waren ein Hinweis, dass sich die evangelische Kirche lückenlos hinter die außenpolitischen Ziele Hitlers stellte. Kirchenpolitische Gegensätze verschwanden hinter diesem Hitlerbild. Jenseits der kirchenpolitischen Gegensätze fand sich die evangelische Bevölkerung im Aufblick zu dem „christlichen Staatsmann“ Adolf Hitler in der breiten „volksgemeinschaftlichen“ Mitte zusammen. Die evangelische Kirche erwies sich als stabile Säule der Hitlerherrschaft und Hitlergesellschaft.

Der Reichskirchenausschuss ordnete für Dienstag nach der „Wahl“, den 31. März, von 12 bis 13 Uhr ein allgemeines Kirchengeläut an.  Generalsuperintendent Zoellner lud zu einem Dank- und Bittgottesdienst in den Berliner Dom am 2. April ein. Domprediger Martin, Magdeburg, interpretierte in seiner Predigt den Schlusssatz Hitlers in Köln als eine Geste großer Demut in einer Stunde vor seinem höchsten Triumph“  „Wir, die wir hier im Gotteshaus versammelt sind, danken dem Führer besonders für dieses Wort. Es hat ihn uns nicht kleiner. sondern noch viel größer gemacht. Wir wollen das Große, das in diesen Tagen geschehen ist, demütig hinnehmen aus Gottes Hand als Zeichen seiner Gnade und Barmherzigkeit (...) Aus der demütigen Haltung gegen Gott haben wir Kraft genommen, fest zu stehen und nicht zu verzweifeln. Und wer das Leben und den Kampf des Führers verfolgt hat, der weiß es: aus dieser Haltung hat der Führer Kraft geschöpft, der Verzweiflung eines ganzen Volkes zu wehren.“



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