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[Kirche von Unten]

Zum Hitlerbild in der Deutschen Evangelischen Kirche

und

Ein Beitrag zur Kirchlichen Mitte

von Dietrich Kuessner

(Download des Buches einschließlich Anmerkungen als pdf hier)




Während des Krieges vertieft sich das Nebeneinander von Nationalsozialismus und evangelischer Kirche.
Das enthusiastische Nebeneinander von Kirche und Nationalsozialismus im Frühjahr 1938 erfuhr während des Krieges einen weiteren Höhepunkt. Hitler setzte dabei sein volkskirchliches Vokabular fort bis zum Kriegsende. Auch während des Krieges gab es keine einheitliche nazistische Kirchenpolitik. Eine möglicherweise koordinierende Kabinettsarbeit gab  es nicht mehr. Hitler rief das Kabinett nicht mehr zusammen. Allmählich näherte sich die Hitlerregierung einer Regierungsanarchie. Die Parteizentrale im Braunen Haus in München blieb auch in Kriegszeiten bei ihrer kirchenfeindlichen  Parteipolitik, konnte allerdings von Rosenberg nicht mehr unterstützt werden, der eine neue Aufgabe im Kriegseinsatz erhielt. Kirchenminister Kerrl hielt an seinem Konzept des illusionären Nebeneinanders von Nationalsozialismus und Christentum bis zu seinem Tode im Dezember 1941  fest. Sein Posten wurde nicht mehr besetzt.  Der neu eingesetzte Staatssekretär  Hermann Muhs allerdings wurde eine Stütze der Parteipolitik des Braunen Hauses. Hitler ließ wie bisher die rivalisierenden Kräfte gewähren, und behielt sich im Konfliktfall die letzte Entscheidung vor.

So bediente sich Hitler während des Überfalls auf die polnische Republik dieses volkskirchlichen Instrumentariums und ordnete nach der Eroberung der polnischen Hauptstadt Warschau im September 1939 an, sechs Tage lang von 12.00 bis 1.00 Uhr die Kirchenglocken zu läuten. Die Anordnung Hitlers wurde reichsweit von den Kirchen begrüßt und befolgt. Aber sie bedurfte für die Kirchengemeinden einer Erklärung. Das Evangelische Gemeindeblatt Nürnberg erklärte seinen Lesern den Sinn des Geläutes: „In dieser Woche läuten alltäglich zur Mittagsstunde unsere Glocken. Es dringt ihr Klang uns tief ins Herz: Sieg! Das deutsche Heer, gerüstet mit Tapferkeit und Ausdauer bis zum Letzten, hat den Feldzug in Polen in wenigen Wochen beendigt. Und es drängt ihr Klang uns, die Hände zu falten: „Herr Gott, Dich loben wir; wir preisen Deine Güte/ wir rühmen Deine Macht mit herzlichem Gemüte“. In einer gehobenen Stimmung von Schlachtensieg und Gotteslob konnten die bayrischen Gemeindeblattleser dem Glockenklag lauschen.

Das Hamburger Kirchenblatt „Der Nachbar“ erläuterte seinen Hamburger Christen: „Vom 4.-10. Oktober haben in den Mittagsstunden von allen Kirchen die Glocken täglich eine Stunde lang geläutet. Dieses tägliche Läuten hat uns nicht nur an den Ernst der Zeit gemahnt, sondern auch daran erinnert, was unsere Braven da draußen in Polen in den letzten Wochen geleistet haben, und mit wie viel Mut und Tapferkeit sie unsere Heimat verteidigten, zugleich aber auch unseren bedrängten Landsleuten im Osten halfen und sie von der Not der Polenherrschaft befreiten... Uns ist das Glockenläuten aber nicht nur ein Siegesläuten, sondern auch ein Dankesläuten dafür, dass Gott unsere Wege gnädig geleitet hat und dass wir den Polenfeldzug in kürzester Zeit beenden konnten...“

Durch diesen bisher einzigartig massiven Einsatz der oft noch von Hand bedienten Kirchenglocken entartete das Glockengeläut zu einer Geräuschkulisse, der sich kaum jemand entziehen konnte, die alle traf, siegesbegeisterte und distanzierte Mitläufer.

Karikatur Lied von der Glocke
Schillers Lied von der Glocke gehörte zum eisernen Bestand der deutschen Schulbildung. „Fest gemauert in die Erde..“ so fängt die Ballade an und die beiden letzten Zeilen lauten: „Freude diese Stadt bedeute/ Friede sei ihr erst Geläute.“ Aber am Glockenstrang, den Hitler zieht, hängt keine Glocke, sondern eine Kanonenmündung.
Die Karikatur vom Amsterdamer „De Telegraf“ glossierte am 19. Oktober 1933 Hitlers Austritt aus dem Völkerbund als Kriegsgeläut und signalisiert die Befürchtungen von Deutschlands Nachbarstaaten.


Vielleicht stellte sich bei manchem Pfarrer auch die klammheimliche Freude ein, dass die Kirchen doch noch gebraucht würden. Wie tief gingen diese Eindrücke und wie lange blieben sie haften? Der flüchtige Eindruck von Vielen in der deutschen Bevölkerung mochte gewesen sein: „Hitler braucht die Kirche.“ „Die Kirche läutet und folgt Hitler.“

Am Ende seiner Reichstagsrede am 6. Oktober 1939 dankte Hitler dem Herrgott, „dass er uns in dem ersten schweren Kampf um unser Recht so wunderbar gesegnet hat“, und bat ihn, „dass er uns und alle andern den richtigen Weg finden lasse, auf dass nicht dem deutschen Volk, sondern ganz Europa ein neues Glück des Friedens zuteil werde.“

Hitler hatte der deutschen Bevölkerung die Vorstellung eines neuen glücklichen Europa vorphantasiert, eines braunen Europas natürlich und unter seinem Kommando. Nach einem christlich-braunen Deutschland nun also die „Vision“ eines christlich-braunen Europas?

Günter Brakelmann bemerkt dazu, „Christen fühlten sich durch die Passagen der Reden und Ansprachen abgeholt, in denen religiöse Überzeugungen Hitlers anzuklingen schienen..... Dass er um Hilfe und den Segen Gottes für den Abwehrkampf Deutschlands bat, sicherte ihm die Hilfe und den Segen der Kirche.“



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