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[Kirche von Unten]

Zum Hitlerbild in der Deutschen Evangelischen Kirche

und

Ein Beitrag zur Kirchlichen Mitte

von Dietrich Kuessner

(Download des Buches einschließlich Anmerkungen als pdf hier)




Hitler nimmt die Kirche auf seinen politischen und militärischen Gipfel Juni 1940 mit.
Der Frankreichfeldzug bescherte Hitler den Gipfel seiner Popularität im Deutschen Reich. Während einer Pause im Kampf gegen Frankreich proklamierte Hitler  am 5. Juni 1940 aus dem Führerhauptquartier „Deutsches Volk! Diese geschichtlich glorreichste Tat  haben deine Soldaten unter dem Einsatz ihres Lebens und ihrer Gesundheit mit beispiellosen Anstrengungen blutig erkämpft. Ich befehle deshalb, von heute ab in ganz Deutschland auf die Dauer von acht Tagen zu flaggen. Es soll dies eine Ehrung unserer Soldaten sein. Ich befehle weiter,  auf die Dauer von drei Tagen das Läuten der Glocken. Ihr Klang möge sich mit den Gebeten vereinen, mit denen das deutsche Volk seine Söhne von jetzt  an wieder begleiten soll.“ Bischof Marahrens kommentierte die Proklamation Hitlers im persönlichen Brief vom 5.6.1940 an die Hannoversche Pfarrerschaft: „Von heute Mittag  dürfen unsere Glocken wieder aus Anlass  des umfassenden Sieges im ersten Abschnitt der Westoffensive erklingen – das ist gewiss wahr, dass wir mit ganzem Ernst unsere Gebete für die zu neuen Kämpfen angetretenen Brüder an der Front mit ihren Klängen vereinigen wollen. Gott wolle ihnen in Gnaden beistehen in dem Kampf, der nun zur letzten siegreichen Entscheidung führen soll. Am Sonntag hoffen wir, alles, was uns bewegt, vor der Gemeinde unter Gottes Wort stellen zu  können.“ Der Bischof übernahm die Deutung Hitlers, der Glockenklang möge eine Gebetsaufforderung sein, und fügte die Bitte um den Beistand Gottes an.

Noch deutlicher, und zwar deutlich frommer, wurde Hitler nach der Kapitulation Frankreichs im Juni 1940. Die Allgemeine Ev. Luth. Kirchenzeitung begann ihren Bericht mit der wörtlichen Wiedergabe des Tagesbefehls Hitlers: „Deutsches Volk! Deine Soldaten haben in knapp sechs Wochen nach einem heldenmütigen Kampf den Krieg im Westen gegen einen tapferen Gegner beendet. Ihre Taten werden in die Geschichte eingehen als der glorreichste Sieg aller Zeiten. In Demut danken wir dem Herrgott für seinen Segen. Ich befehle die Beflaggung des Reiches für zehn, das Läuten der Glocken für sieben Tage.“ Der Bericht der Allgemeinen Ev. Lutherischen Kirchenzeitung fährt fort:

„Es waren feierliche Augenblicke als nach der Bekanntgabe dieses Aufrufes im Rundfunk der Choral von Leuthen erklang (d.i. „Nun danket alle Gott“ D.K.), und als in der Nacht darauf um 1.35 das Signal „Das Ganze halt!“ ertönte, sich das Niederländische Dankgebet anschloss.“ Dem Führer sei zu danken und nicht zuletzt dem Herrn, von dem wir als Lenker der Schlachten singen, vor dem  von jeher deutsche Soldaten sich gebeugt haben, aus dessen Händen der Sieg kommt.“

Statt Parteigesängen ließ Goebbels aus rauen Männerkehlen den „Choral von Leuthen“ anstimmen, und danach „Wir treten zum Beten“. Wer mochte diesem tief sitzenden religiösen Eindruck widerstehen, dass diese fälschlicherweise als Tilgung verstandene „Schmach von Versailles“ von Gott selber komme?

Goebbels hatte die Entstehung der Sendung in seinem Tagebuch so festgehalten. 23. Juni 1940: „Wir sollen die Meldung  vom Waffenstillstand groß aufmachen. Ich wünsche dem Führer vor allem Gesundheit. Möge Gott ihn behüten. Dann kommt die Meldung über alle Sender. Mit Dankgebet. Ganz groß und feierlich“.  Die Sendung machte sogar auf Goebbels selber  tränenreichen Eindruck: „25.Juni 1940 Magda und Ello kommen noch heraus nach Lanke. Dazu ein kleiner Kreis von Mitarbeitern. Wir hören nachts um 1.35 die Sendung des Rundfunks zum Beginn des Waffenstillstandes, die ich sehr wirkungsvoll zusammengestellt habe. Sie macht auf uns und auf das ganze Volk den tiefsten Eindruck. Ich bin wie benommen. Soweit haben wir es also schon gebracht. Die Tränen kommen mir, als die Glocken erklingen. Welch eine gesegnete Stunde. Man möchte sie feiern und nicht wieder loslassen. Der Mond steht still hoch über dem Bogensee.“  Die fromme Redeweise drang bis in die private Tagebucheintragung ein.

Das Blatt der Lutheraner schrieb: „Was wir erlebt haben in diesen 45 Tagen, was auf uns hereinstürmte in unfassbar schneller Folge: Worte vermögen nicht das wiederzugeben, was der Herr Großes  an unserm Volk getan hat.“

Zwei tiefe seelische Verwundungen in der deutschen Bevölkerung schienen sich durch den Sieg über Frankreich geschlossen zu haben: die angeblich demütigende Behauptung von der Schuld Deutschlands am Ausbruch des 1. Weltkrieges und die Frage, ob der Tod der Soldaten – und kaum eine Familie war davon unberührt geblieben – irgendeinen Sinn haben könnte.

Bischof Marahrens beschäftigte sich in einem Wochenbrief ausführlich mit der „Kriegsschuldlüge“ des Friedensvertrages, gegen die die evangelische Kirche in der Weimarer Zeit ständig angekämpft habe und die nun durch die Beseitigung des Versailler Vertrages widerlegt sei.  Marahrens füllte die Rolle Hitlers mit der ethischen Statur eines „Erlösers" von der „Kriegsschuldlüge“ aus. Diese vergiftete, süßliche Botschaft wurde von großen Teilen der Hannoverschen Pfarrerschaft – und nicht nur der Hannoverschen -  in Predigten und Gebeten und Dankgottesdiensten aufgesogen und den Gemeindemitgliedern weitergereicht. Keine Entnazifizierung vermochte eine Entgiftung der evangelischen Kirche von dieser Vergiftung herbeizuführen. Anhaltende, jährliche Bußgottesdienste wären nach 1945 dazu angetan gewesen, wurden aber geradezu für abwegig gehalten.

Nicht nur der Versailler Friedensvertrag war ausgelöscht, sondern den Toten des 1. Weltkrieges, diesem grauenhaften, sinnlosen Massensterben, wurde ein „Sinn“ angedichtet. „Nun hat sich die deutsche Schmach gewendet, und Versailles ist endgültig ausgelöscht. Die Saat, die aus den Blutopfern des Weltkrieges aufgegangen ist, ist reif geworden zur Ernte, und die Söhne haben heimbringen dürfen, was den Vätern einst versagt war. Wundersam sind Gottes Wege; anbetend beugen wir uns vor der Größe seiner Majestät, von der wir in solchen gewaltigen Geschehnissen etwas ahnen dürfen,“ deutete der Bischof predigend seiner Pfarrerschaft die Niederlage Frankreichs. Die Kirche hatte Anteil an der Masseninfektion der Verstockung der deutschen Bevölkerung.  



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Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Hitlerbild/, Stand: Dezember 2020, dk