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[Kirche von Unten]

Zum Hitlerbild in der Deutschen Evangelischen Kirche

und

Ein Beitrag zur Kirchlichen Mitte

von Dietrich Kuessner

(Download des Buches einschließlich Anmerkungen als pdf hier)




Hitler in der Rolle eines Verteidigers europäisch-christlicher Kultur
Oder: die christlich-nazistische Koalition gegen den Bolschewismus
Ein Höhepunkt im nazistisch-christlichen Koalitionsgeflecht war der Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion.  Dieser Eroberungskrieg war inhaltlich gut vorbereit durch eine damals weit verbreitete Broschüre von Karl Richard Ganzer mit den Titel „Das Reich als europäische Ordnungsmacht“. Ganzer stellte das Hitlerreich als die künftige europäische Ordnungsmacht dar, die einen behutsamen Umgang mit den dem Reich natürlich zugeordneten und ihm angegliederten Völkern pflege. „Wenn sich das deutsche Volk zur Führung Europas  bestimmt glaubt, so ist dies nur die legitime Erneuerung einer natürlichen Gegebenheit, die sich seit einem Jahrtausend in der biologischen, geschichtlichen und kulturellen Wertigkeit unsres Volkes kundtut,“  Die Geschichte Europas läuft also nach Ganzer auf das „Dritte Reich“ zu. Damit definierte Ganzer das Kriegsziel des vom „Reich“ begonnenen Weltkrieges. Seit  tausend Jahren stoße das Reich „in den  chaotisch gelockerten Ostraum hinein, nicht um ihn zu unterdrücken, sondern um ihm die Form zu geben, die er vom Haus aus nicht besitze.. „In allen Jahrhunderten  hat der Deutsche diesen labilen, aus eigenen Kräften unvermögenden Osten nicht als Raum imperialistischer Verzwängung und als Zone der Ausbeutung, sondern als das Feld fordernder Aufgaben gesehen.“ Ganzer ist ein Beispiel für die Chancen eines intellektuellen, formulierfreudigen Aufsteigers im Hitlerreich. Ganzer, Jahrgang 1909, wurde mit 31 Jahren bereits kommissarischer Nachfolger in der Leitung des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschland, allerdings 1943 in den „Ostraum“ eingezogen und starb an der  Front. Seine Leiche wurde posthum mit einem hohen Orden behängt, ein Hinweis, dass sich die Regierung von ihm für die Gestaltung des Dritten Reiches viel erhoffte.

Die Kirche erklärte diesen Krieg im Osten in ihrer Verblendung zu einem Kreuzzug gegen den Atheismus. Sie war blind für die Tatsache, dass in Russland eine jahrhundertealte orthodoxe Kirche mit einer reichen Liturgie trotz ihrer furchtbaren Unterdrückung fortlebte. Der Überfall Hitlers auf die Sowjetunion löste also  einen Krieg von Christen untereinander aus. Der Schluss von Hitlers Rede zum Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion im Sommer 1941, Gott möge „gerade in diesem Kampf“ helfen",  wurde nicht als fromme Phrase überhört, sondern in der Predigt aufgenommen und gedeutet. Der Leipziger Pfarrer Fiebig begann seine Predigt mit Bezug auf dieses Hitlerwort: „Tage liegen hinter uns, die uns alle aufs tiefste bewegt haben. Das schlug wie ein Blitz ein, als uns bekannt gegeben wurde, daß sich der Krieg nun auch noch nach Osten ausweitet. Wenn irgend einmal, dann möge uns Gott in diesem Kampfe zur Seite stehen. Mit diesem Gebetswort hat unser Führer die Ankündigung des Ringens mit Rußland geschlossen und hat damit jedem ernsten, nachdenkenden Menschen aus dem Herzen gesprochen.“ Es handle sich in diesem Krieg nun nicht mehr um Land- und Weltbesitz, sondern er habe einen „Ewigkeitswert" bekommen, „daß es sich darum handelt, ob Gott oder Gottlosigkeit die Herrschaft in Zukunft haben soll“, es sei ein der Kirche „befohlener Kampf gegen die dämonischen Kräfte des Unglaubens." Pastor Fiebig deutete den kommenden Russlandfeldzug als Glaubenskrieg, und so wurde er auch von vielen Feldgeistlichen an der Front gepredigt.

Der Hamburger Bischof Tügel zitierte ausführlich aus der Proklamation Hitlers, machte sich dessen verlogene Begründung für den Überfall auf die Sowjetunion zu eigen und Hitlers verräterisch - gräuliches Ziel: „die Sicherung Europas und die Rettung aller". „Wir zweifeln nicht, daß diese weltgeschichtliche Stunde für den Todfeind völkischen Lebens, aber auch der Kultur und Gesittung, des Glaubens und des Christentums geschlagen hat. Mit Gottes gnädiger Hilfe wird unsere siegreiche Wehrmacht das Werkzeug des Gerichts über den Bolschewismus und der Gnade über unser heiß geliebtes Volk und alle Völker sein, die im Frieden leben und arbeiten wollen.“

Zeichnung Madonna von Stalingrad
Kurt Reuber, an die Front kommandierter Arzt und Theologe, zeichnete in einem Bunker im Kessel von Stalingrad für seine Mitsoldaten auf die Rückseite einer Landkarte mit Kohlestift die „Madonna von Stalingrad“. Ein ergreifendes Andachtsbild, das heute in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche aufgestellt ist. Reuber zeichnete auch zahlreiche russische Menschen, die ihm an der Front begegnet waren. Es sind nachdenkliche Gesichter, die den Betrachter fragen: Was habt ihr bei uns gesucht? Es ist ein stiller Protest gegen die ordinäre Nazipropaganda vom russischen Untermenschen.


Hitler hatte sich in den Kirchen nicht getäuscht. Seit dem Frühjahr 1933 erhoffte er sich die Kirchen als Mitstreiter im Kampf gegen den Kommunismus und die gesamte politische Linke. Die Kirchen in ihrer Gesamtheit hatten seinerzeit auf einen lautstarken Protest gegen den innenpolitischen „Vernichtungsfeldzug“ des Kanzlers Hitler verzichtet. Nun ging es im Sommer 1941 gegen den Bolschewismus. Die provisorische, vorübergehende Gesamtkirchenleitung der Evangelischen Kirche, der Geistliche Vertrauensrat, nahm in seinem Telegramm am 30.6.1941 darauf Bezug: „Sie haben, mein Führer, die bolschewistische Gefahr im eigenen Land gebannt und rufen nun unser Volk und die Völker Europas zum entscheidenden Waffengang gegen den Todfeind aller Ordnung und aller abendländisch-christlichen Kultur auf. Das deutsche Volk und mit ihm alle seine christlichen Glieder danken Ihnen für diese Ihre Tat.“  Hitler als der Verteidiger der europäischen Kultur komplettierte und  erhöhte in den Augen der evangelischen Kirche das Bild als eines von Gott gesandten Staatsmannes, der sich an die Spitze eines christlichen Kreuzzuges stellte.

Karikatur To the Dark Ages
Am 1. April veranstaltete Hitler einen reichsweiten Boykott jüdischer Geschäfte. Der Karikaturist der New York Times vom 2. April 1933 sieht Deutschland als gealterte Frau an der Leine Hitlers, der sie düsteren Zeiten entgegenführt. (To the Dark Ages).
Diese und andere Karikaturen wurden im Goebbelsschen Ministerium genau beobachtet.


Die im Vernichtungskrieg mit Orden geschmückte Pfarrerschaft
Die „Hilfe Gottes“ beim Kreuzzug gegen den Bolschewismus, wie sie Hitler beschworen hatte -  und er meinte damit ein siegreiches Ende seines „Blitzkrieges“ gegen die Sowjetunion - , stockte allerdings schon nach fünf Monaten im Dezember 1941, obwohl  Hitler und die deutsche Presse bereits von dem Fall Moskaus gefaselt hatten. Ausgeruhte und für den Winter gut ausgerüstete sibirische Truppen warfen die von vorneherein auf einen russischen Winter gar nicht eingestellten deutschen Truppen zurück. Die militärische Entscheidung musste also auf das nächste Jahr verlegt werden, wozu Hitler wieder die Hilfe Gottes anrief.  Am Schluss seiner Neujahrsansprache 1942 rief er zum Gebet auf, dass der Allmächtige dem deutschen Volk und seinen Soldaten die Kraft geben möge, das mit Fleiß und tapferem Herzen zu bestehen, was erforderlich ist, um uns Freiheit und Zukunft zu erhalten.“ Das Jahr 1942 solle, „darum wollen wir alle den Herrgott bitten, die Entscheidung bringen zur Rettung unseres Volkes und der mit uns verbündeten Nationen.“ Aber der Aufruf klang zurückhaltender. Hitler hatte am 11. Dezember 1941 den USA den Krieg erklärt, und das musste für alle, die das Ende des 1. Weltkrieg durch den Eintritt der USA selbst erlebt hatten, ein unüberhörbares Warnsignal sein.

Bischof Marahrens nannte in seinem  Brief an die Pfarrerschaft vom 13. Januar 1942 Gottes Weg durch die Geschichte der Völker „im Augenblick mehr denn je einen verborgenen Weg.“ Das mochte mit dem unerwartet anderen Verlauf des Rußlandfeldzuges, aber auch mit der Kriegserklärung Hitlers an die USA im Dezember 1941 zusammenhängen. „Ein Verhängnis, das nun seinen Lauf nehmen müsse,“ urteilte Marahrens wenig vorher, der den kriegsentscheidenden Eintritt der USA  in den ersten Weltkrieg 1918 noch selber erlebt hatte. Ein „Verhängnis“ vollzog sich in Stalingrad, wo 200.000 deutsche Soldaten eingekesselt und 110.000 in Gefangenschaft abgeführt wurden, von denen 5000 eine Rückkehr erlebten und weit über 300.000 russische Soldaten fielen und ebenso viele verwundet wurden, um die deutsche Bevölkerung von Hitler zu befreien. Bald danach beschlossen Roosevelt und Churchill in Casablanca, den Krieg nur durch eine bedingungslose Kapitulation Deutschlands zu beenden.  Damit war jede Hoffnung auf ein Kriegsende durch Verhandlungen ausgeschlossen.


Die im Vernichtungskrieg mit Orden geschmückte Pfarrerschaft
Es blieb nicht bei einer nur seelischen Stärkung, sondern es gab eine messbare militärische an der Front. Die Landeskirchen veröffentlichten in ihren kirchlichen Amtsblättern auf Ehrentafeln die „ausgezeichneten“ Mitglieder ihrer Pfarrerschaft. Ab 1942 war fast die Hälfte der aktiven Pfarrerschaft aus ihren Kirchengemeinden zum Kriegseinsatz herausgezogen worden, und viele wurden mit Orden geschmückt. Im Oktober 1943 veröffentlichte die Evangelische Kirchenkanzlei die folgende Anzahl von Ordensträgern unter den Pfarrern, Vikaren und Kandidaten der Theologie: 12 Theologen erhielten das Deutsche Kreuz in Gold, 392 das Eiserne Kreuz 1. Klasse; 1435 das Eiserne Kreuz 2. Klasse; 608 das Sturm-und sonstige Kampfabzeichen, 567 das Verwundetenabzeichen, 56 das Kriegsverdienstkreuz I. Klasse mit Schwertern, 774 das Kriegsverdienstkreuz II Klasse mit Schwertern, sowie später weitere  Orden  mit blumigen Bezeichnungen wie der rumänische Orden „Kreuzzug gegen den Bolschewismus“.

Die amtliche Auflistung der kirchlichen Ordensträger aus dem Jahre 1943 sollte die Naziführung von der Gefolgschaftstreue der kirchlichen Mitarbeiterschaft überzeugen in der Hoffnung einer entsprechenden Berücksichtigung nach dem Endsieg.

Es ist noch heute durchaus eher das Gefühl verbreitet, dass solche Orden den Pfarrern und der Kirche insgesamt zur Ehre gereichen als jenes andere, dass Geistliche die Annahme von Orden grundsätzlich verweigern  sollten.



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