Kirche von unten: Home - Archiv - Geschichte - Vorträge, Beiträge - Cyty - Glaube

[Kirche von Unten]

Zum Hitlerbild in der Deutschen Evangelischen Kirche

und

Ein Beitrag zur Kirchlichen Mitte

von Dietrich Kuessner

(Download des Buches einschließlich Anmerkungen als pdf hier)




Der erste Hauptteil
Hitlers Angebot an die Kirchen zur Mitarbeit an einem nationalsozialistisch-christlichen Deutschland

Am 30. Januar 1933 beauftragte Reichspräsident Hindenburg den „Führer“ der größten Reichstagsfraktion, Adolf Hitler, mit der Regierungsbildung. Das war keine Machtergreifung des Bösen, sondern ein traditioneller Regierungswechsel. Er „vollzog sich innerhalb der Formen, die die Weimarer Reichsverfassung vorschrieb und die der Parlamentarismus erlaubte.“ Einige Zeitgenossen erhofften sich einen baldigen, erneuten Regierungswechsel. Theodor Eschenburg erinnert sich: „Nicht wenige rechneten mit einer kurzen Lebensdauer dieser Regierung. Entweder würde Hitler gezähmt und die Partei würde enttäuscht von ihm abfallen oder Hindenburg würde ihn absetzen – so wie er es mit Brüning, Papen und Schleicher getan hatte.“ Viele Menschen reagierten einfach gleichgültig.“ Nach Beobachtungen des britischen Botschafters in Berlin, Horace Rumgold, nahm die Bevölkerung im ganzen Land die Nachricht „phlegmatisch“ auf. Die Regierung Hitler/Hugenberg hatte keine Mehrheit im Reichstag. Die jeweils kommunistische und sozialdemokratische Reichstagsfraktion beantragten unabhängig voneinander die sofortige Einberufung einer Reichstagssitzung, um die fehlende Reichstagsmehrheit der neuen Regierung der Öffentlichkeit vorzuführen. Der Reichstagspräsident Göring verschleppte beide Anträge. Hindenburg löste den Reichstag auf und damit waren beide Anträge gegenstandslos geworden. Die Verfassungsgemäßheit des Regierungswechsels unterstützte den Eindruck der Legalität des Regierungsantritt Hitlers, aber Hitler brauchte dringend Koalitionspartner.

Hitlers Angebot vom 1. Februar 1933
Hitler bot im Aufruf an das deutsche Volk am 1. Februar 1933 überraschend der Kirche eine fundamentale Rolle in seiner Politik an. Schon in seiner ersten Ansprache als Reichskanzler am 1. Februar 1933 erklärte Hitler über den Rundfunk, die neue Regierung werde „das Christentum als Basis unserer gesamten Moral, die Familie als Keimzelle unseres Volkes und Staatskörpers in ihren festen Schutz nehmen.“ Die Weimarer Demokratie sei eine Zeit ohne den Segen Gottes gewesen, der Grund sei der Marxismus und Nihilismus gewesen, denen er einen „unbarmherzigen Krieg“ ankündigte. Hitler schloss mit dem frommen Wunsch: „Möge der allmächtige Gott unsere Arbeit in seine Gnade nehmen, unseren Willen recht gestalten, unsere Einsicht segnen und uns mit dem Vertrauen unseres Volkes beglücken. Denn wir wollen nicht kämpfen für uns, sondern für Deutschland.“ Der Aufruf wurde am folgenden Tag noch zweimal vom Rundfunk wiederholt, und der Text an die Litfaßsäulen angeschlagen. Er sollte von der deutschen Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen werden.
Dieser „Aufruf der Reichsregierung an das deutsche Volk“ ließ aufmerken. Keine der Vorgängerregierungen hatte derart häufig ein christliches Vokabular verwendet. Sollte der Regierungswechsel auf einen Systemwechsel zielen, auf ein christliches Deutschland? Schon Franz v. Papen hatte bei seiner ersten Regierungserklärung nach seinem Putsch gegen die amtierende preußische Regierung Braun 1932 vom „christlichen Staat“ gesprochen, den er nun in Preußen errichten wolle. Auf seinen Wunsch wurde diese Passage in die Hitlersche Regierungserklärung am 1.2.1933 eingefügt.

Das war ein gravierender Einschnitt in die Weimarer Verfassung. Artikel 137 der Weimarer Verfassung bestimmte den religionsneutralen Staat, allerdings nicht den religionslosen Staat, wie es von den Gegnern der Weimarer Verfassung gerne missdeutet und polemisch gegen die Befürworter des Weimarer Staates interpretiert wurde.
Der Hamburger Pfarrer Franz Tügel und spätere Bischof schilderte im Rückblick von zehn Jahren seinen persönlichen Eindruck von dieser Rede Hitlers: „Als ich diese ernste, männliche Stimme am Rundfunk hörte, da habe ich meine Hände gefaltet und Gott, dem Herrn der Geschichte, gedankt und ihn angefleht, er möge helfen und segnen.“ Hitlerbegeisterte Berliner versammelten sich auf Einladung der Deutschen Christen zu einem Dankgottesdienst in der geräumigen Marienkirche, die die dankbare Gemeinde nicht fassen konnte. Die Kirche musste noch vor Beginn des Gottesdienstes geschlossen werden. Dann marschierten SA-Leute mit angeblich 300 Sturmfahnen und Standarten in die Kirche und stellten sich um den Altar. Der 34jährige Führer der Deutschen Christen, Joachim Hossenfelder, Pfarrer an der Berliner  Christuskirche, predigte in Anwesenheit von  Vertretern der frischen Reichsregierung, Mitgliedern des Reichstags und des Landtags über die Wiederkehr deutscher Erhebung und sprach die Hoffnung aus, „dass das große Werk unseres Führers zu einem glücklichen Ende gelange.“  Mitglieder der neuen Reichsregierung in einem evangelischen Gottesdienst? – das verriet einen neuen Stil.

Hitler als Verteidiger des Christentums im „Wahlkampf“ im Februar 1933.
Die Kirche spielte für Hitler in den folgenden Wochen eine besondere Rolle. Hitler hatte als Reichskanzler keine parlamentarische Mehrheit. Aber Hindenburg war Hitler entgegengekommen und hatte den Reichstag aufgelöst, ein schwerer politischer Fehler des Reichspräsidenten. Anstatt sich in die Regierungsgeschäfte einzuarbeiten, ging Hitler sofort auf  Wahlreisen für eine eigene Mehrheit im Reichstag und agierte wie ein „christlicher Staatsmann“. In seiner Wahlrede am 10. Februar im Berliner Sportpalast beschrieb er das neue Deutschland als das „bitter erworbene, neue deutsche Reich der Größe und der Ehre und der Kraft und der Herrlichkeit und der Gerechtigkeit“, und damit jeder die Gebetsform auch bemerkte, schloss Hitler   mit „Amen“. Der Rundfunk übertrug die Ansprache reichsweit. Goebbels notierte im Tagebuch: „Hitler hält eine phantastische Rede. Ganz gegen Marxismus. Zum Schluss großes Pathos „Amen!“. Das hat Kraft und haut hin. Ganz Deutschland wird Kopf stehen.“

Obwohl  Hitler mit dieser Massenveranstaltung im Berliner Sportpalast den Wahlkampf für die Reichstagswahl am 5. März eröffnete, hielt er keine Wahlrede,  er warb nicht um Stimmen für die NSDAP, es fiel nicht ein einziges Mal der Name der Partei, er setzte sich auch nicht mit anderen Parteien auseinander, sondern er entwarf ein Sehnsuchtsbild von einem Wiederaufstieg des deutschen Volkes. Er sprach nicht als Parteiführer, sondern als Kanzler der Regierung zur deutschen Bevölkerung.
Wie schon der Aufruf an das deutsche Volk vom 1. Februar löste nun auch diese Rede eine weitere Strömung hoher Erwartungen aus, wobei Hitler die Bevölkerung zur Mitarbeit für ein Deutschland ohne Klassenunterschiede aufrief. „Wir wollen durch eine Erziehung von klein an den Glauben an einen Gott und den Glauben an unser Volk einpflanzen,.... wir wollen unsere Jugend wieder hineinführen in dieses herrliche Reich unserer Vergangenheit. Demütig sollen sie sich beugen vor denen, die vor uns lebten.“
Dieses strahlende  Bild eines neuen christlichen deutschen Reiches wurde auf dem trüben Hintergrund einer anhaltend herabsetzenden, völlig überzogenen Beschreibung der Weimarer Zeit entworfen, die eine Zeit des Verfalls und der Unsauberkeit gewesen sei. Die verfaulte Demokratie werde abgeschafft. „Wir werden kämpfen gegen die Erscheinungen unseres parlamentarisch-demokratischen Systems“. Nicht nur das 1918 mühsam erkämpfte Frauenwahlrecht würde abgeschafft, sondern das Wahlrecht überhaupt. Daran ließ Hitler keinen Zweifel. Wie jede Strömung gefährliche Strudel entwickelt, die den Schwimmer hinabziehen, so konnte der Zuhörer Hitlers leicht in den Strudel einer nationalsozialistischen Strömung geraten wie die französische Karikatur Le Remous warnte.

Karikatur Der Strudel
Deutschland ist am 30. Januar in einen Strudel (Le Remous) geraten. Die Bevölkerung geht in der Nazibewegung unter. Hitler liegt entspannt am geblümten Ufer und sieht zu.
So die Sicht des L´Ècho de Paris vom 2. Februar 1933.


Die Rede Hitlers drang bis ins kleinste ostpreußische Dorf. Der 30 Jahre junge, frische Pfarrer im Dorf Moltainen schrieb an seine Mutter in Königsberg:
„Gestern hörte ich eine ganz ausgezeichnete Rede Hitlers durch Rundfunkübertragung aus dem Berliner Sportpalast. Man hat doch bei ihm den Eindruck, dass hier eine willensstarke Persönlichkeit, nur erfüllt von dem einen Gedanken der Rettung und Freiheit des Vaterlandes, jenseits aller politischen Phrasen, sachlich und nüchtern, aber darum gerade vertrauenserweckend, an der Führung ist, die willens ist, innen und außen saubere Verhältnisse zu schaffen und sich vor allem durchzusetzen.“


Der ostpreußische Dorfpfarrer war mit seinem Urteil keineswegs allein. Die prominente Allgemeine Evangelisch Lutherische Kirchenzeitung (AELKZ) schrieb zu dieser Rede Hitlers im Berliner Sportpalast: „Wirkungsvoller kann man sich die Eröffnung des Wahlkampfes kaum denken, als es mit den Massenversammlungen der Regierungsparteien im Berliner Sportpalast und durch die Übertragung der gehaltenen Reden auf den ganzen deutschen Rundfunk geschehen ist.“ Es sei durch den Rundfunk spürbar geworden, „dass nun etwas ganz Neues in Deutschland zu geschehen habe.“  Die Zeitenwende von heute erfordere mehr denn je „den Impuls zu einer großen nationalen Bewegung christlich-konservativer Prägung.“   Mündete die christlich-konservative Prägung in ein christliches Nazi-Deutschland? So schien es im Februar 1933.

Auf seinen Wahlreisen spielte Hitler die Rolle eines Verteidigers des Christentums. Ein besonderes Ärgernis war für Hitler die Jahre lange, stabile Regierungskoalition aus Sozialdemokraten, Liberalen und dem Zentrum in Preußen unter Ministerpräsident Braun. Gegen diese richtete er seine ungebremste Wut. Seine Wahlrede am 15. Februar 1933 in Stuttgart benutzte Hitler zur Abrechnung mit dem Zentrum. „Das falsche Christentum des Zentrum“ titelte der Völkische Beobachter. Der Regierungspräsident Eugen Bolz hatte in einem Flugblatt des Zentrums vor einem neuen preußisch-protestantischen - ostelbischen Geist gewarnt. „Wir fürchten einen Geist von Potsdam (...)  Das ist der Geist, der im Krieg nicht rechtzeitig den Frieden gesucht hat....der die ganze Welt erobern wollte,...der in Wirklichkeit die Ursache des heutigen Elends ist.“ Die letzte Konsequenz sei die, dass auch in religiöser Beziehung keine Freiheiten mehr bestehen,“ hieß es im Flugblatt. Hitler fühlte sich in seiner Rolle als Verteidiger des Christentums bedroht und schäumte und spielte auf die jahrelange Koalition des Zentrums mit der SPD unter der Regierung Otto Braun in Preußen an.  „Dem Christentum ist niemals und zu keiner Zeit ein größerer innerer Abbruch zugefügt worden, als in diesen 14 Jahren, da diese theoretisch christliche Partei mit diesen Gottesleugnern in einer Regierung saß..... Wir wollen unsere Kultur wieder mit christlichem Geist erfüllen, nicht nur in der Theorie. Nein, ausbrennen wollen wir die Fäulnis-Erscheinungen in der Literatur, in Theater, in der Presse, kurz in unserer ganzen Kultur.“ „Wir wollen Deutschland freimachen von den Hemmungen einer unmöglichen parlamentarischen Demokratie.“  Die regionale Nazipresse (NS-Kurier) berichtete am 17.2. von der Kundgebung unter der Überschrift „Hitlers Bekenntnis zum christlichen Staat.“  Damit griff die Parteipropaganda diese  überholte Vorstellung auf, die spätestens mit Kaiser Wilhelm II. 1918 beendet war.  Für die Kirchen war sie eine verführerische Idee, die Frage war nur, ob sie ernst gemeint war und wie sie umgesetzt werden sollte.

Aber Hitler wiederholte einen Tag später in den Kölner Messehallen seinen Anspruch als Verwalter des Christentums. „Dem Zentrum die Maske herunter“ titelte das Massenblatt der Nazis, der Völkische Beobachter. Hitler lobte eingangs den seinerzeit thüringischen Minister Fríck, der für „Sauberkeit und Ordnung, für Christentum, für die deutsche Erhebung für Freiheit und Recht“ eingetreten sei.  „Wie will“, so Hitler später, „eine Partei vom Kampf des Christentums reden, die 14 Jahre mit Atheisten und Gottesleugnern zusammensitzt? Haben sie in diesen 14 Jahren für die deutsche Nation, für das Christentum wirklich gekämpft?“ Einen Tag später veröffentlichte der Völkische Beobachter einen Aufruf „nationaler Katholiken“, der bündig erklärte: „Wer den Nationalsozialismus bekämpft, bekämpft das Christentum“.  Göring hatte in einer Veranstaltung in Dresden darauf hingewiesen, dass an der Spitze der Regierungen mit Hitler und Papen zwei Katholiken stünden. Der Völkische Beobachter veröffentlichte in diesen Tagen eine Buchanzeige vom Pfarrer D. Julius Kuptsch unter der Überschrift „Christentum im Nationalsozialismus“ mit folgender Empfehlung: „Die Weltanschauung  des Nationalsozialismus genügt der Schöpfungsordnung Gottes und der Forderung des Christentums. Die Grundsätze des Nationalsozialismus sind praktisches Christentum; der Nationalsozialismus allein ist der wirkliche Kämpfer für das wahre Christentum“. Kuptsch war NSDAP-Parteimitglied und Mitbegründer der Deutschen Christen.
Am 25. Februar sprach Hitler vor 30.000 Zuhörern in der Nürnberger Luitpoldhalle und betonte die Partnerschaft der künftigen nationalsozialistischen Regierung mit den christlichen Kirchen beim Kampf gegen die politische Linke: „Und wenn man heute versucht, die Religionen in den Kampf zu stellen, werden wir sagen: Wir schützen die beiden christlichen Bekenntnisse, indem wir den Marxismus vernichten werden. Wir werden die beiden Konfessionen beschützen und beschirmen, aber wir wollen nicht dulden, dass Deutschland erneut durch einen Krieg der Konfessionen zerfällt.“ In Breslau sagte Adolf Hitler dem Bolschewismus erneut „den Vernichtungskampf“ an. „Vernichten“ war eines seiner sehr häufig benutzten Lieblingsworte.  Hitler machte damit in der Bevölkerung archaische Instinkte populär, die in einer liberalen Zivilgesellschaft längst domestiziert schienen. Im Kampf gegen die Linke im Reich und gegen den Bolschewismus rechnete Hitler fest mit der Unterstützung der Kirchen und hatte Recht behalten.

In Königsberg wurde Hitlers Rede am 4. März zum Höhe- und Schlusspunkt der Wahlreise.
Begeistert berichtete das führende lutherische Blatt: „Nicht der „Parteiführer“ Hitler, sondern der von Hindenburg ernannte „Reichskanzler“ Hitler hielt in der Nacht zuvor seine große Rede an ganz Deutschland durch Rundfunk, und Millionen deutscher Christen hörten mit und sangen das Lied „Wir treten zum Beten vor Gott den Gerechten“ mit, und als die Glocken des Königsberger Domes läuteten, stiegen in gleicher Stunde weithin Gebete zum Himmel auf, wie es wohl nie in der Geschichte  Deutschlands geschah. Es war ein bitterer Tropfen in die Erinnerung dieser „Gebetsnacht“, als man nachher hörte, das Königsberger Konsistorium habe das Läuten der Glocken untersagt, so dass Goebbels zum Ersatz frühere Schallplatten verwenden musste.“  In der Kampagne für die Terrorwahl am 5. März 1933 vermittelte Hitler wiederholt den Eindruck des eigentlichen Verteidigers der christlichen Kirchen. In dieser Rolle hoffte Hitler auf die Kirche als Partner bei der Vernichtung des Marxismus, worunter er unterschiedslos Sozialdemokraten, Kommunisten und Demokraten verstand.
Es war für viele leitende Männer der Kirche der erste, und daher tiefer sitzende, nachhaltige, positive Eindruck, den sie von Hitler gewannen und der ihr Hitlerbild für längere Zeit prägte.

Es gab vereinzelte Gegenstimmen zu diesem Hitlerbild. Noch am 28. Februar wandte sich der Herausgeber der „Christlichen Welt“, dem Blatt der Liberalen, Hermann Mulert, gegen den Terror. „Wie muss es auf sozialistische Volksgenossen wirken, wenn viele Zeitungen wegen Beleidigung von Behörden verboten werden, aber diejenígen Blätter, die offen den Verfassungsbruch ankündigen, unverboten bleiben? Und müssen die neueren Polizei- und Hilfspolizei-Erlasse nicht in verhängnisvoller Weise den Schein von zweierlei Recht schaffen? Der vom 22. Februar beruft sich auf Gewalttaten von links; wären nicht solche Tätlichkeiten, wie die in Krefeld von Nationalsozialisten gegen den Zentrumsführer und früheren preußischen Ministerpräsidenten Adam Stegerwald verübten Anlass genug, auch nach rechts hin vor Verrohung des politischen Kampfes zu warnen und allseitig zu bekämpfen?“

In einem mehrseitigen Brief an seine Pfarrer vom 8. März 1933 nahm auch der märkische Generalsuperintendent Otto Dibelius direkt Bezug auf den Hitlerschen „Vernichtungsfeldzug“ vor der Wahl: „Mag die Politik Gräben ziehen, mögen Staatsmänner von Vernichten, Ausrotten und Niederschlagen reden, mögen Hassbotschaften auf Massenaufmärschen einen Beifall finden, „der nicht enden will“ – wir haben einen andern Geist empfangen! ..Ich .. werde von dem Standort niemals abweichen, den uns das Evangelium anweist. Und ich hoffe, Sie werden dasselbe tun.. Wo Hass gepredigt wird und nun gar  der Hass gegen Glieder des eigenen Volkes, da ist der Geist Jesu Christi nicht.“
Agnes von Zahn-Harnack, Tochter des berühmten Professors Adolf von Harnack, protestierte, „dass in steigendem Maße im Wahlkampf der Name Gottes sowie Formeln der christlichen Religion und des christlichen Lebens verwendet oder Wahlreden mit dem Wort „Amen“ beschlossen würden.  Sie schickte ihren Protest an die damalige Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche, an den Kirchenausschuss.

Der 29- köpfige Evangelische Kirchenausschuss, das höchste Beschlussgremium der Deutschen Ev. Kirche, trat turnusmäßig am 2. und 3. März 1933 in Berlin zusammen. Ihm gehörten Mitglieder sämtlicher Kirchenleitungen der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) an. Er tagte unter dem Vorsitz des Präsidenten Hermann Kapler und beriet vier Stunden lang über das Thema „Frage einer Stellungnahme zu den gegenwärtigen politischen Verhältnissen und Bestrebungen“. Aber durch das Gremium ging ein Riss: die einen wünschten eine deutliche Unterstützung der Hitlerregierung, die anderen ein scharfe Abgrenzung.
Der Kirchenausschuss lernte zwischen den beiden Sitzungstagen noch einen anderen, entschlossenen Nazigegner kennen. August Hinderer, der mächtige, einflussreiche Mann des evangelischen Pressewesens, der die Tages- und die Kirchenpresse seit vielen Jahren mit Nachrichten versorgte, hatte die Mitglieder des Kirchenausschusses zu einem informellen „Bierabend“ eingeladen. Ein Teilnehmer berichtete davon folgendermaßen: „Er (Hinderer) wollte uns Kirchenführer vor kommenden Dingen warnen und dadurch verhüten, dass uns die Ereignisse ebenso überraschen wie 1918. Aber die Kirchenführer standen dem Nationalsozialismus so gutgläubig  gegenüber oder waren durch die Deutschen Christen sei es so begeistert sei es so eingeschüchtert, dass sie Hinderer nicht glaubten und seine Warnungen mit eisigem Schweigen aufnahmen“.  Ein weiterer Teilnehmer berichtete von einigen Bemerkungen der Ausschussmitglieder. So habe der Präses der altpreußischen Generalsynode, Friedrich Winckler, seine Freude darüber ausgedrückt, „dass durch die Machtergreifung des Nationalsozialismus die Vorherrschaft der SPD und Zentrum im politischen Leben gebrochen sei.“ Ein weiterer Teilnehmer, der Braunschweigische Landesbischof Alexander Bernewitz, habe sich ähnlich geäußert. Hinderer dagegen, so seine engsten Mitarbeiter, sei „als ein geschlagener Mann“ aus dieser Versammlung heimgekehrt. Daher sei der Abend seinen näheren Mitarbeitern unvergesslich geblieben.“

Die politische Situation an jenem Ausspracheabend, dem 2. März 1933, war ausgesprochen gespannt. Die Reichstagsbrandstiftung lag erst vier Tage zurück. Die Nazipropaganda besetzte die öffentliche Meinung mit der faustdicken Lüge eines bevorstehenden bolschewistischen Aufstandes. Göring besorgte für diese Lüge das entsprechende angebliche Belastungsmaterial durch die Beschlagnahme der kommunistischen Zentrale. Dort seien Pläne zur Brandstiftung an Kirchen und Massenverhaftungen von Pfarrern aufgetaucht. Diese „Beweise“ wurden nie öffentlich gemacht. Aber in der kirchlichen Presse setzte sich seither für viele Jahre die fatale Redeweise fest, Hitler habe die christlichen Kirchen vor dem Bolschewismus gerettet.
Am Sonntag  nach dem Reichstagsbrand, der auch der Wahltag ist, predigte in der Berliner Annenkirche in Dahlem der Ortspfarrer Martin Niemöller. Es war der Sonntag Invokavit, der Beginn der Passionszeit, an dem über die erste Leidensankündigung ( Mt. 16, 21 ff) gepredigt wird.  Niemöller sprach über die Verantwortung eines deutschen Staatsmannes. Der Evangelist Matthäus schildert, wie Petrus Jesus von seinem Leidensweg abhalten will und von Jesus scharf zurückgewiesen wird.  „Hebe dich von mir, Satan“. Für die hellhörigen Gottesdienstbesucher war die Anspielung auf Hitler deutlich, als Niemöller fortfuhr: „Petrus will in christlicher Politik machen. Petrus will mit der Parole „Christus“ Stimmen gewinnen. Menschen, die seinem Christus zujubeln: ein Kunststück ist das nicht. Aber hüte dich, Petrus: was kein Kunststück und keine Zauberei ist, ist gleichwohl Satanswerk! Christus will  keine Herolde, die vor ihm her Lärm machen, er will keine Begeisterung für seine Sache und keinen Jubel um seine Person. Er geht den Weg zum Leiden und zum Kreuz und wer zu ihm gehört, der muss hinter ihn treten und ihm nachfolgen“. In seinem Amtskalender notierte Niemöller: „eine politische Predigt“.



Zum nächsten Kapitel
Zum vorherigen Kapitel
Zum Inhaltsverzeichnis


[Zurück] [Glaube] [Helfen]
Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Hitlerbild/, Stand: Dezember 2020, dk