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[Kirche von Unten]

Zum Hitlerbild in der Deutschen Evangelischen Kirche

und

Ein Beitrag zur Kirchlichen Mitte

von Dietrich Kuessner

(Download des Buches einschließlich Anmerkungen als pdf hier)



Karikatur Sensenmann
Der Tod als Sensenmann hat sich eine Maske vorgebunden. Die Maske hat die Gesichtszüge Hitlers. Die Sense hat die Form eines Hakenkreuzes. Damit wird die im Gleichschritt marschierende deutsche Bevölkerung von Hitler niedergemäht. In: The Nation, New York 5. April 1933.
Das war ein prophetischer Blick auf Deutschland in den Jahren 1944/45, für den 5. April 1933 ein geschärfter Blick auf die innenpolitische Situation, der dem größten Teil der deutschen Bevölkerung fremd war.


In der Reichstagssitzung, dem 23.  März, erneuert der Reichskanzler Hitler sein Angebot vom 1. Februar 1933 an die Kirchen zur Zusammenarbeit.  
Es war die Frage, ob Hitler und die Reichsregierung die Zusagen an die christlichen Kirchen vom 1. Februar wiederholen und in ein offiziöses Regierungsprogramm aufnehmen würden. Hitler zelebrierte die Statur des christlichen Staatsmannes feierlich in der zweitägigen Eröffnung des neuen Reichstages. Der 21. März 1933, der berüchtigte „Tag von Potsdam“, wurde reichsweit von Gottesdiensten eingerahmt. In Potsdam predigte in der Nicolaikirche vor dem Staatsakt in Anwesenheit von Reichspräsident Hindenburg und Parlamentspräsident Göring der märkische Generalsuperintendent Otto Dibelius. In Stuttgart fanden sogar zwei Gottesdienste statt: am Vormittag im Hof des Neuen Schlosses ein von der Reichswehr veranstalteter Festgottesdienst unter Anwesenheit von Kirchenpräsident Wurm, am Abend in der überfüllten Stiftskirche ein Dankgottesdienst, über den ausführlich der NS Kurier berichtete.

Dibelius hatte in seiner Predigt dem nationalsozialistischen Terror im Februar und März 1933 großes Verständnis entgegengebracht: „Wenn der Staat seines Amtes waltet gegen diejenigen, die die Grundlagen der staatlichen Ordnung untergraben, gegen die vor allem, die mit ätzendem und gemeinem Wort die Ehe zerstören, den Glauben verächtlich machen, den Tod für das Vaterland begeifern – dann walte er seines Amtes in Gottes Namen.“  Vorher hatte Dibelius an Luthers Äußerungen gegen die Bauern erinnert: „Wir kennen die furchtbaren Worte, mit denen Luther im Bauernkrieg die Obrigkeit aufgerufen hat, schonungslos vorzugehen, damit wieder Ordnung in Deutschland werde.“ Dibelius fand diesen Predigtpassus auch noch 1961 so zutreffend, dass er ihn kommentarlos in seinen Lebenserinnerungen wiedergab. Der Widerspruch zu seinem Briefinhalt vom 8. März (siehe oben) ist so groß, dass Dibelius in diesen zwei Wochen eine politische Wendung vollzogen hatte, oder war es die politische Gemeinde am 21. März, die ihn zu dieser Absolution des Naziterrors verleitete? Der Hauptverantwortliche dieses Terrors in Preußen, der Ministerpräsident Hermann Göring, drückte Dibelius nach der Predigt freundlich die Hand, es sei die beste Predigt gewesen, die er je gehört habe.“   

In seiner auf den Tag von Potsdam folgenden Regierungserklärung am 23. März vor den Reichstagsabgeordneten wiederholte Hitler sein Angebot an  die Kirchen für ein christliches Nazi-Deutschland. Hitler erklärte, seine nationale Regierung sehe in den beiden christlichen Konfessionen die wichtigsten Faktoren zur Erhaltung des Volkstums,  sie sehe im Christentum „die unerschütterlichen Fundamente der Moral und Sittlichkeit des Volkes“, die Rechte der Kirche würden nicht angetastet, im Gegenzug erwarte der Reichskanzler, dass die Kirchen eine derartige kirchenfreundliche Regierungsarbeit würdigen. „Die Sorge der Regierung gilt dem aufrichtigen Zusammenleben zwischen Kirche und Staat; der Kampf gegen eine materialistische Weltanschauung, für eine wirkliche Volksgemeinschaft dient ebenso den Interessen der deutschen Nation wie dem Wohle unseres christlichen Glaubens.“ In der Zusammenfassung am Ende der Regierungserklärung wiederholte Hitler: „Die Rechte der Kirche werden nicht geschmälert und die Stellung zum Staat nicht geändert.“ Vier Mal hatte sich also Hitler zum Verhältnis seiner Regierungskoalition zu den christlichen Kirchen geäußert und sich als christlicher Staatsmann präsentiert. Das war als ein Angebot an die Kirchen zur Zusammenarbeit zu verstehen.

In sensationellem Tempo wurde von den Ereignissen in Potsdam eine Wochenschau zusammengeschnitten und hunderte von Filmkopien noch am 21. März und am folgenden Tag von Fahrdiensten, Fernzügen und sogar Flugzeugen in viele der 3000 Kinos im ganzen Land gebracht und vorgeführt.  Nun waren Millionen mit dabei und sahen im Kino, was sie schon am Radio mitbekommen hatten: den Wunsch eines „aufrichtigen  Zusammenlebens zwischen Kirche und Staat,“ zwischen  nationalsozialistischer Reichsregierung und ev. Kirche.

Dieser Regierungsantritt mit seinem Angebot an die Kirchen wurde von einer ausladenden reichsweiten Feiertagsstimmung umgeben. Elisabeth Gebensleben von Alten, die Frau des stellvertretenden Braunschweiger Bürgermeisters, schrieb am 22.3. an ihre Tochter in Holland: „Wir stehen heute noch ganz unter dem Erleben des gestrigen Tages. Was wir erlebt haben, kann man gar nicht beschreiben. Ein solcher Jubeltag einer Nation kommt wohl ganz selten vor in der Geschichte eines Volkes; ein Tag solch nationaler Begeisterung, solche aufjauchzender Freude; er ist der Tag, der all das Beste und Heiligste, was im Volke steckt und das in engen Fesseln gelegt war für viele Jahre, nun frei werden ließ und das nun hinausströmt in unbegrenztem Jubel aus tiefster Dankbarkeit. Vati und ich haben den Tag voll und ganz ausgekostet durch Teilnehmen an den Feiern in der Stadt Braunschweig und in ergriffenem Zuhören am Radio, das die erhebenden Feiern aus Berlin und Potsdam übertrug... Das war ein Flaggenmeer in den Straßen der Stadt! Um 12 Uhr läuteten alle Kirchenglocken. Da standen Vati und ich auf dem Schlossplatz, wo der Gottesdienst der Reichswehr war, anschließend große Parade aller Verbände...Mit Freude sahen wir die Trupps vorbeiziehen; zuerst die Reichswehr, dann die Polizei, dann der Stahlhelm, zuletzt kamen die Nationalsozialisten. Als die Hakenkreuzfahnen vorbeigetragen wurden, voran die Kapelle, die das Horst Wessel Lied spielte, da ging die Freude über in Begeisterung und tiefe Ergriffenheit; die Hüte flogen von den Köpfen, Arme hoben sich zum Gruß.“

Zwei gleichzeitige Ereignisse hätten den Eindruck einer künftigen einvernehmlichen Zusammenarbeit von Kirche und Staat  stören können: in Dachau wurde an diesem prachtvollen „Tag von Potsdam“, dem 23.3., ein Konzentrationslager für 5000 Häftlinge eingerichtet. Das bedeutete die Einrichtung eines rechtsfreien Raumes neben der ordentlichen Justiz und neben den zahlreichen, von der Hilfspolizei und SS spontan errichteten „wilden Gefängnissen“ ein staatlich organisiertes wildes Großgefängnis, das zur Abschreckung in der Presse veröffentlicht wurde. Dazu passte die andere Meldung: Der Mörder von Potempa, ein SA-Mann, der einen Gewerkschaftler im Beisein der Mutter im August 1932 zu Tode geprügelt hatte und dessen Todesstrafe in lebenslange Haft umgewandelt worden war, wurde von Hitler an  diesem  Tag begnadigt und freigelassen.
Elisabeth Gebensleben von Alten kam auch  auf das KZ zu sprechen, als sie in demselben Brief schrieb: „Und es heißt mächtig aufpassen für Hitler, dass seine Bewegung nicht in Gefahr kommt. Die Kommunisten verbrennen schon die roten Fahnen, wollen plötzlich Nationalsozialisten werden. Das geht natürlich nicht; da müssen sie erst eine dreijährige Prüfungszeit durchmachen in den Konzentrationslagern. Ähnlich ist es mit den Sozialdemokraten.“

Der „nationale Feiertag“ war nicht bloß ein städtisches Ereignis, sondern wurde auch ausgiebig auf dem Lande gefeiert. Davon berichtete der Dorfpfarrer aus dem ostpreußíschen Moltainen an seine Mutter:

Moltainen 25. März 1933
Der nationale Feiertag wurde bei uns unter großer Beteiligung gefeiert. Um 7 Uhr abds setzte sich der Fackelzug in Bewegung, voran die Schützen zu Pferde, was besonders fein aussah, dann kam die Hakenkreuzfahne und Kriegerfahne, Musik der Kriegervereine, andere Vereine, Schulen und viele andere gingen durchs Dorf, während die Kirchenglocken läuteten bis zu einer Wiese, wo ein großes Freiheitsfeuer abgebrannt wurde und ich die Ansprache hielt, in der ich vom Sieg der nationalen-revolutionären Bewegung sprach, die das Ende des Marxismus bedeute, aber auch das Ende eines unsozialen Kapitalismus und ihre Fortsetzung finden müsse, in der Revolutionierung der Gewissen. Danach war noch gemütliches Beisammensein im Gasthaus, wozu meine Frau und ich auch hingingen und wo es, ohne Besäufnis mit Tanz, ein richtig ländliches Volksfest war.“



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