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[Kirche von Unten]

Zum Hitlerbild in der Deutschen Evangelischen Kirche

und

Ein Beitrag zur Kirchlichen Mitte

von Dietrich Kuessner

(Download des Buches einschließlich Anmerkungen als pdf hier)



Der zweite Hauptteil
Die kirchliche Mitte


Hitler hatte den christlichen Kirchen bei seinem Regierungsantritt das Angebot einer  Zusammenarbeit vor allem zum fortwährenden innen-wie außenpolitischen Kampf gegen die politische  Linke und den Bolschewismus gemacht. Er hatte den Kirchen beträchtliche Versprechungen gemacht, die er in seiner Regierungszeit niemals widerrufen hat. Außerdem benutzte er selten, aber immer wieder eine mit volkskirchlichen Vokabeln durchsetzte, gelegentlich sogar gebetsartige Redeweise. Bei herausragenden Ereignissen griff Hitler sogar auf protestantisches Liedgut zurück und ließ die deutsche Bevölkerung öffentlich gemeinsam einen Choral singen. Diese seine Vorgehensweise gibt keine Auskunft über ein persönliches Glaubensleben Hitlers, weckte aber in den ersten fünf Jahren des „Dritten Reiches“ die Vorstellung eines nationalsozialistisch- christlichen Deutschen Reiches. Hitler behielt diese Redeweise auch nach 1937 bei, als er die Hoffnung auf eine Unterordnung der Kirchen unter sein Regime aufgegeben hatte.

Diese Vorstellung ist vereinzelt kirchlicherseits zurückgewiesen, aber vor allem von großen Teilen der Kirche und ihren Kirchenleitungen zustimmend erwidert worden.  Sie erlaubte der Kirche zwar scharfe Kritik insbesondere an den kirchenfeindlichen Agitationen der Münchner Parteizentrale die vom Rosenberg-Ley-Bormannflügel der Partei vorgetragen würden.. Aber diese Kritik der Kirche blieb innerhalb einer grundsätzlichen Zustimmung zum Nazisystem. Hitlers Angebot zur Mitarbeit an seiner Regierung und die positiven Reaktionen führender Kirchenleitungen schufen den Freiraum für eine sog. „Kirchliche  Mitte“.

Die kirchliche Mitte
Die kirchengeschichtliche Forschung war jahrzehntelang beherrscht von der Entstehung der Deutschen Christen (DC) sowie der Gegenbewegung der Bekennenden Kirche (BK) und den schweren Auseinandersetzungen zwischen beiden vor allem in den Jahren 1933-1936. Aber BK und DC repräsentierten nicht die Gesamtheit der evangelischen Kirche. Wenn man die Kirchengeschichtsforschung von der Engführung des Gegensatzes Deutsche Christen – Bekennende Kirche befreit, stößt man auf den großen Bereich der sog. Kirchlichen Mitte, also auf jene Kirchengemeinden, die sich weder den Deutschen Christen noch der Bekennenden Kirche anschließen wollten. Das war die große Mehrzahl der damaligen evangelischen Kirchengemeinden und ihrer Mitglieder.. Sie wollten weder in eine übertriebene Begeisterung für Hitler wie die DC noch in den möglichen Widerstand gegen den Nationalsozialismus geführt werden, sondern von ihren Pfarrern gesagt bekommen, wie man als evangelischer Christ im „Dritten Reich“ leben kann. Sie hatten sich grundsätzlich mit dem Bestehen des Nationalsozialismus abgefunden. Sie umfasste vor allem den kirchlichen Alltag und ist begreiflicherweise nicht so „interessant“ wie ein  heftiger  Kirchenstreit zwischen den beiden gegensätzlichen Gruppen.

DC und BK  gaben Mitgliederkarten aus und verstanden sich als verbindliche  organisierte Gruppe. Um diese verbindliche Gruppe bildeten sich lockere Kreise ohne strenge Gruppenbildung. Die Gruppen bildeten auch jeweils gemäßigte und extreme Flügel, zu denen sich bei der BK die sog. „Dahlemiten“ zählten, die auf die strikte Durchführung der Beschlüsse der Bekenntnissynode von Berlin Dahlem im Oktober 1934, wonach sie die dc. Kirchenleitungen nicht anerkannten, eine Ordination der jungen Pfarrer durch  sie verweigerten und ihre Kollekten nicht an die Behörde abführten. Bei der DC gehörtem die Thüringer Deutsche Christen zu den  Radikalen, für die der Nationalsozialismus Heilsbedeutung hatte.

Die kirchliche Mitte bildete keine vergleichbare Gruppe und ist deshalb auch schwieriger zu umgrenzen.

Sie umfasste die große Zahl der Gemeindemitglieder, die eine traditionelle, lockere Verbindung zu ihrer Kirchengemeinde hielt. Für die  BK und DC  war die kirchliche Mitte ein Hassobjekt: die Neutralen, die Unentschiedenen, die „Lauen“, die Langweiler, die Opportunisten.

Die mitgliederstärkste Zeit der Deutschen Christen war das Jahr 1933. Nach der skandalösen Sportpalastversammlung im November 1933,  bei der der Hauptredner das Alte Testament verhöhnte, verließen Hunderte von Mitgliedern die DC-Organisation. Der Einfluss des von Hitler unterstützten deutsch-christlichen Reichsbischofs Ludwig Müller wirkte 1933 gruppenstärkend. Als sein Einfluss jedoch ab Ende 1934  sank, waren weiterhin vermehrt Austritte aus der DC zu verzeichnen.

Wo deutsch-christliche Bischöfe amtierten wie in Thüringen, Sachsen,  Mecklenburg, Hamburg, Lübeck und Bremen, blieben die Deutschen Christen in der Kirchenleitung und im Profil der Landeskirche bestimmend. Dort bildeten BK-Pfarrer und ihre zahlenmäßig kleinen Kirchengemeinden ein theologisches und kirchenpolitisches Gegengewicht. Die größte Gruppe jedoch war auch in den dc dominierten Kirchen die unauffällige, neutrale kirchliche Mitte.

Die BK hatte ihre bedeutendste Zeit während den Bekenntnissynoden in Barmen (1934), in Dahlem (1934), in Augsburg (1935) und in Oeynhausen (1936). Es gelang ihr jedoch nicht, die Mehrheit einer Kirchenführung in einer Landeskirche zu erringen.

In den Landeskirchen der Altpreußischen Union (u.a. in Berlin-Brandenburg, Schlesien, Westfalen, Rheinland)  tobte im Gegensatz zu anderen Landeskirchen ein Kirchenkampf, weil dort die Frage der Anerkennung einer deutsch-christlichen Landeskirchenleitung, eines von Hitler eingesetzten Kirchenministeriums, die Abführung der Kollekten, eine Ordination der jungen Pfarrer von der BK entschlossen abgelehnt wurde.  Nach 1936 spaltete sich der radikale Flügel an der Frage der Anerkennung des Reichskirchenausschusses als provisorischer Gesamtvertretung der evangelischen Kirche, blieb aber als Minderheit innerhalb der BK aktiv, besonders in den Kirchen der ApU.

Es gab Landeskirchen, deren Kirchenleitungen sich ausdrücklich zu einer „gruppenfreien“ Landeskirche bekannten; dazu gehörten die schleswig-holsteinische Landeskirche und die braunschweigische Landeskirche  unter Landesbischof Helmut Johnsen.

Die drei besonders mitgliederstarken Landeskirchen Hannover, Württemberg und Bayern rechneten sich selber zunächst zur BK, glitten aber mit der Zeit aus pragmatischen Gründen in die Nähe der Kirchlichen Mitte über und bildeten innerhalb der großen Masse der kirchlichen Mitte eine Art „lutherische Kirchliche Mitte“. Diese waren unter der Führung des lutherischen Bischofs Meiser starr auf die schriftlich fixierten Bekenntnisse aus der Reformationszeit (Confessio Augustana u.a.) fixiert und erstrebten eine lutherische Gesamtkirche im Großdeutschen Reich mit einem lutherischen Erzbischof samt Krummstab und Mitra. Die Kirchliche Mitte jedoch war an den verschiedenen historischen Bekenntnisbildungen kaum interessiert.

Die Deutschen Christen und die Bekennende Kirche unterschieden sich von der Kirchlichen Mitte durch ihre verschiedenen Vorstellungen von einer Kirche. Das Kirchenbild der Deutschen Christen war geprägt von der engen  Gefolgschaft zu Person und Werk Adolf Hitlers, von einer dem Nationalsozialismus nachgeahmten, schroff antisemitischen  Organisation und einem nationalen, „arischen“, „judenfreien“ Christusbild. Hakenkreuz und Christuskreuz waren für sie eng verzahnt. Das Kirchenbild der Bekennenden Kirche war dagegen eine brüderliche, hierarchenfreie Gemeinschaft von Christen, die sich uneingeschränkt zu Jesus Christus als dem Herrn der Kirche und der Welt bekannten. Diesem Christus hatten sich auch der Nationalsozialismus und ihre Führer unterzuordnen. Das Hakenkreuz war dem Christuskreuz strukturell und prinzipiell untergeordnet.

Das Kirchenbild der Kirchlichen Mitte war das aus der Weimarer Zeit übernommene Bild der Volkskirche.

Sie anerkannte grundsätzlich den nationalsozialistischen Staat, vermied Konflikte mit Regierung und Partei und gestaltete die von der Regierung geduldeten Freiräume zu eigenständiger, parteiunabhängiger, christlicher Arbeit. In der Volkskirche bestanden Hakenkreuz und Christuskreuz nebeneinander, ein Problem war die unterschiedliche Gewichtung.



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Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Hitlerbild/, Stand: Dezember 2020, dk