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[Kirche von Unten]

Zum Hitlerbild in der Deutschen Evangelischen Kirche

und

Ein Beitrag zur Kirchlichen Mitte

von Dietrich Kuessner

(Download des Buches einschließlich Anmerkungen als pdf hier)




Die Volkskirche als Kirchenvorbild der Kirchlichen Mitte
Die Vorstellung einer Volkskirche entstand  nach dem 1. Weltkrieg als Gegenbild zur  Staatskirche. Jahrhunderte lang hatte das engen Nebeneinander von Thron und Altar das Bild des Protestantismus geprägt.  Die Weimarer Verfassung 1919 erklärte im Artikel 136 „Es gibt keine Staatskirche.“ An ihre Stelle trat der religionsneutrale Staat und die evangelische Volkskirche. Während die Stütze der Staatskirche der Staat war, sollte nun die Stütze der Kirche „das Volk“ sein. Diese Volkskirche wurde von drei Säulen getragen: von der Mitgliederzahl (a), von der allgemeinen Zustimmung zum Angebot der Kirchen von Taufe, Konfirmation, Trauung sowie Begräbnis (b) und von der Kirchensteuer (c).

(a) Die stabile Kirchenmitgliedschaft während des Nationalsozialismus.
Im Jahre 1939 wurde eine Volkszählung durchgeführt und die Ergebnisse im Statistischen Jahrbuch für das Deutsche Reich 59. Jahrgang 1941/42 auf S. 26 veröffentlicht. Es war auch gefragt worden nach der Angehörigkeit zur evangelischen oder katholischen Kirche und nach der Anzahl von „Gottgläubigen“. Dieses Konfessionssignal war 1935 eingeführt worden, um die aus der Kirche ausgetretenen Nationalsozialisten zu erfassen. Unter „Sonstige“ konnten sich jene eintragen, die schon früher die Zugehörigkeit zur Kirche gelöst hatten. Das Ergebnis: 48,6 % wurden als Evangelische oder Freikirchen und 45% als römisch-katholische Bewohner erfasst.  93,6 % der deutschen Bevölkerung bekannten sich demnach zu den christlichen Kirchen. Das passt überhaupt nicht zu dem später verbreiteten Bild des kirchenfeindlichen, das Christentum alsbald vernichtenden Nationalsozialismus. Jene 93,6 %, in Zahlen: 83.560 Millionen deutscher Staatsbürger von insgesamt 88.637 Millionen Gesamtbevölkerung wollten im braunen Staat als Christen leben. Das war eine schwere Schlappe für Jene innerhalb der Nazielite, voran Alfred Rosenberg, aber auch für Himmler, Bormann und Streicher, die unentwegt zum Kirchenaustritt getrommelt hatten.  Gottgläubige: 3,09 % und Sonstige: 2,64 % waren statistisch gesehen eine Riesenblamage. Die Volkskirche hatte sich im „Dritten Reich“ behauptet. Ein direkter Vergleich mit dem Ergebnis der Volkszählung 1933 ist nicht möglich, denn es war die Bevölkerung großer neuer Gebiete  (Saarland, Österreich, Böhmen und Mähren) in die Zählung aufgenommen. Aber auch 1933 waren es weit über 90 % der deutschen Bevölkerung, die sich als evangelisch oder katholisch bezeichneten.

Ein Vergleich ist auch für bestimmte Territorien wegen der Gebietsreformen in der Zwischenzeit kaum möglich. Trotzdem seien folgende Ziffern genannt:

Kirchenmitgliedschaft
  1933 1939
Bayern 2.203.314 2.266. 638
Sachsen 4.522.856 4.474.590
Hamburg 1.321.391 1.346.113
Württemberg 1.811.797 1.814.533
Bremen 373.825 373. 821

Die Ziffern bestätigen jedoch, dass in kirchenpolitisch sehr unterschiedlichen Gebieten und Landeskirchen die Anzahl der Kirchenmitglieder im Wesentlichen stabil geblieben und kein gravierender Einbruch in die volkskirchliche Struktur der Landeskirchen erfolgt ist. Die  Statistik machte keine Angaben zur Gruppenbildung, was der Kirchlichen Mitte entgegenkam. Eine weitergehemde gründliche  Analyse  der Volkszählung  fehlt in den gängigen kirchengeschichtlichen Darstellungen.

( b ) Die Kasualstatistik im „Dritten Reich“
Die folgenden Tabellen beschreiben die traditionellen kirchlichen Handlungen (Taufen, Trauungen, Bestattungen) in 15 Landeskirchen, wie sie in einer Volkskirche üblich sind. Die Taufe ist ein Jahrhunderte altes Angebot der Kirche, das von der weit überwiegenden Anzahl der Bevölkerung in Stadt und Land angenommen und gewünscht wird. Diese Tradition setzte sich in nationalsozialistischer Zeit fort. Dabei ist allerdings zu beachten, dass eine deutsch-christliche Taufe in  Thüringen erheblich anders gestaltet wurde als in lutherisch Württemberg oder Bayern.  

Es gibt in einigen Landeskirchen ab 1938  eine Veränderung. Die Taufzahl bezogen auf Geburtenzahl sinkt unter die 8o % Marke. und zwar im Rheinland (77,6%),in  Braunschweig (74,5 %) und Hamburg (79,5%). Trotzdem lässt sich nicht von  einem Verfall der volkskirchlichen Sitte sprechen.

Taufen Ostpreußen Berlin Rheinland Württemberg Bayern
Jahr T T% T T% T T% T T% T T%
1930 37635 92,80% 28571 81,50% 32826 80,50% 28690 93,50% 26476 92,30%
1935 43719 92,70% 44188 87,80% 41879 81,40% 32313 92,30% 28431 89,80%
1938 44444 90,60% 44056 81,70% 40051 77,60% 33944 88,80% 30582 89,90%
1939 48558 92,60% 41908 76,20% 39454 71,20% 35911 87,20% 31866 85,70%
1940 42478 92,00% 40319   34631 87,30% 32201 87,10%
 Jahr Braunschweig Lübeck Hamburg Schleswig-Holstein Hannover
1930 6710 92,00% 1639 85,70% 10696 72,30% 22707 92,50% 42200 97,00%
1935 7007 84,80% 2029 87,60% 17085 95,00% 28666 90,40% 48169  
1938 6713 74,50% 2240 81,80% 14041 79,50% 26479 87,40% 50152 91,20%
1939 6925 70,30% 2101 76,70%     25794 83,40% 50782 90,90%
1940 7460 70,20% 2294 80,20% 12474 65,00% 26648 89,10% 50598 88,60%
 Jahr Baden Westfalen Schlesien Thüringen Sachsen
1930 15732 87,40% 40053 88,30% 41218 87,50% 22828 93,00% 61911 90,50%
1935 17489 87,20% 42324 89,30% 47759 88,70% 28567 100,40% 75445 99,40%
1938 17951 85,70% 41139 83,00% 75506 85,50% 25990 89,70% 67419 87,20%
1939     41744 82,30% 75949 82,60% 26428 87,00% 66420 87,30%
1940         48554 86,30% 26329 86,20% 70001 90,00%

Die Sitte der kirchlichen Trauung dagegen hat in nationalsozialistischer Zeit erheblich nachgelassen. Es hatte noch 1933/34 von der Partei geförderte Massentrauungen, vor allem in Berlin gegeben. Die hohen Prozentzahlen des Jahres 1935, die alle jene Zahl des Jahres 1930 weit übertreffen, sind ein Ausläufer der hohen Kircheneintrittswelle der Jahre 1933/34.  Ab 1935 war von der Regierung eine rituelle Alternative zur kirchlichen Trauung eingerichtet worden. Die ansonsten nüchterne standesamtliche Eheschließung wurde festlich eingerahmt, der Raum des Standesamtes im Rathaus mit Fahnen, Blumen und Führerbüste „festlich“ hergerichtet. Parteimitglieder bildeten am Ausgang Spalier. Volkstümlich hieß diese standesamtliche Zeremonie „Eheschließung unter der Fahne“. Wem es vor allem auf einen festlichen Rahmen  bei seiner Heirat ankam, konnte nunmehr auf die kirchlichen Trauung verzichten, die sich als ein Bekenntnis der Eheleute zu einer Ehe unter dem Wort Gottes verstand. Kriegsbedingt gingen die Trauzahlen während der Kriegsjahre zurück.

Trauungen Ostpreußen Berlin Rheinland Württemberg Bayern
Jahr Tr Tr% Tr Tr% Tr Tr% Tr Tr% Tr Tr%
1930 13379 84,50% 12357 31,60% 17145 64,00% 13012 80,10% 11979 77,40%
1935 16974 92,30% 22065 51,00% 22025 67,50% 15298 78,80% 14388 76,70%
1938 14186 78,50% 12108 29,00% 15672 52,50% 13355 67,00% 11891 71,60%
1939 13356 65,10% 10891 21,40% 14902 39,70% 11158 48,90% 12480 58,50%
1940 10742 65,20% 11771   8502 48,20% 9696 59,90%
 Jahr Braunschweig Lübeck Hamburg Schleswig-Holstein Hannover
1930 3244 72,70% 851 74,60% 5000 44,40% 10288 77,20% 19905 83,00%
1935 3710 75,20% 1120 83,20% 7248 56,10% 12782 82,40% 22463  
1938 2758 58,40% 797 55,00% 4212 37,10% 9121 61,50% 18584 69,80%
1939 2256 37,80% 798 41,50%     7770 45,00% 17339 56,90%
1940 1676 36,60% 568 37,00% 2893 25,40% 5633 42,50% 12605 54,20%
 Jahr Baden Westfalen Schlesien Thüringen Sachsen
1930 6420 72,90% 19159 75,20% 16983 73,50% 9957 77,80% 28115 68,60%
1935 8007 75,10% 20941 78,50% 21586 80,30% 14024 90,50% 41204 81,50%
1938 6495 65,80% 17001 64,20% 15507 67,40% 9436 68,70% 28471 60,80%
1939     16896 53,40% 14036 51,10% 8628 49,90% 26910 46,60%
1940         12139 49,60% 6237 45,50% 20411 45,80%

Eine kirchliche Bestattung hingegen wurde in der Regel gewünscht und  nicht freien Rednern überlassen. Es wurden in 12 der untersuchten 15 Landekirchen weit über 90 %  der Verstorbenen kirchlich bestattet. Eine Ausnahme bilden im Jahr 1938 Berlin (72,5 %9), Braunschweig (83.7%) und Lübeck (87,7 %). In der Braunschweiger und Berliner Landeskirche gab es schon zur Weimarer Zeit eine beträchtliche Freidenker-tradition, die eine Bestattung mit einem Redner anbot. Es gab aber in der ns. Zeit auch die Bitte von Hinterbliebenen nach einer kirchlichen Bestattung von verstorbenen Angehörigen, die nicht in der Kirche waren.

Bestattungen Ostpreußen Berlin Rheinland Württemberg Bayern
Jahr B B% B B% B B% B B% B B%
1930 20851 91,30% 28542 82,60% 20379 91,80% 18694 94,60% 18805 99,00%
1935 24198 92,00% 32838 82,40% 23151 84,80% 21263 96,40% 20791 98,40%
1938 22465 98,70% 29800 72,50% 26874 96,00% 20647 95,20% 20285 97,50%
1939 26594 101,00% 31037 68,10% 28055 91,70% 21254 95,10% 22070 97,50%
1940 25958 88,80% 28749   21054 93,90% 22294 97,50%
 Jahr Braunschweig Lübeck Hamburg Schleswig-Holstein Hannover
1930 4462 89,30% 1252 83,50% 9143 77,00% 14318 89,70% 24664 91,60%
1935 4887 98,50% 1524 91,40% 10380 82,50% 16113 88,70% 27348  
1938 5102 83,70% 1393 87,70% 10950 94,20% 16111 95,30% 28777 95,70%
1939 5928 88,30% 1539 90,90%     17100 95,30% 31057 98,00%
1940 5927 76,00% 1630 89,80% 11528 88,30% 17385 88,60% 32226 90,30%
 Jahr Baden Westfalen Schlesien Thüringen Sachsen
1930 9725 96,60% 20341 91,20% 26148 92,80% 14226 93,70% 45253 94,80%
1935 11024 94,10% 21948 91,80% 28643 94,90% 17546 102,20% 51220 95,90%
1938 11224 91,40% 23463 92,60% 27944 98,30% 19609 112,20% 50110 95,20%
1939     24619 92,40% 29558 96,30% 17834 96,90% 54534 97,20%
1940         31358 92,10% 18659 91,90% 56385 96,80%


Die nach 1945 viel zitierte Kirchenfeindlichkeit des Nationalsozialismus ist bei den traditionellen kirchlichen Handlungen nicht erkennbar. Die Kasualien blieben ein Kennzeichen der Volkskirche, eine unübersehbare Stütze der kirchlichen Mitte.

(c) Die Landeskirchensteuer
Die Kirche finanzierte sich in der nationalsozialistischen Zeit wie eh und je sich aus den Spenden und Kollekten beim Gottesdienstbesuch ihrer Mitglieder, aus den Erträgen von kirchlichen Besitzungen und Ländereien sowie aus der Kirchensteuer. Den größten Anteil erbrachte die Landeskirchensteuer, die  durch die Finanzämter eingezogen und den Landeskirchenämtern abgeliefert wurde.  Hitler hatte 1933 versprochen, dass seine Regierung die kirchlichen Rechte nicht antasten werde, also auch an der bisherigen Finanzstruktur nichts ändern würde. Daran hatte sich die Regierung Hitler gehalten, obwohl in Parteikreisen das Einzugsverfahren umstritten war.
Die Entwicklung der Kirchensteuer war seit 1934 für die katholische und evangelische Kirche sehr günstig. Sie stieg von 159 Millionen RM (1934) auf 197 Millionen RM (1935), auf 257 Millionen RM (1937) auf 316 Millionen RM (1938). Der Anteil der evangelischen Kirche lag jeweils etwas höher als der Anteil der katholischen Kirche.

Kirchensteuern
Jahr Mio. RM 1932 = 100 %
1932 185 100
1933 157 84,9
1934 159 85,9
1935 197 106,5
1936 179 96,8
1937 257 138,9
1938 316 170,8
1939 333 180
1940 355 191,9

Aus der Sicht einer kleinen Landeskirche stellte sich die Entwicklung der Kirchensteuer folgendermaßen dar.

Entwicklung der Kirchensteuer in der Braunschweiger Landeskirche
1935 771.375,12 RM Vollzug Landeskirchl. Amtsblatt 27.11.1935, 64-67
1936 651.749,02 RM Vollzug Landeskirchl. Amtsblatt 14.August 1936, 23-26
1937 847.058,88 RM Vollzug Landeskirchl. Amtsblatt  22.April 1937,11-15
1938 1.054,923,21 RM Voranschlag Landeskirchl.Amtsblatt 9.Juli 1938, 27-3o
1939 1.307.100,00 RM Voranschlag Landeskirchl. Amtsblatt 1.Juli 1939, 31-34

Die Steigerung wäre sehr viel deutlicher ausgefallen, wenn nicht der Prozentsatz der genehmigten Kirchensteuer von 8 % (1935) auf 6 % (1936) herabgesetzt worden wäre.

Es kann angenommen werden, dass die Steigerung der Kirchensteuer in anderen Landeskirchen ebenfalls beträchtlich war.



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Impressum  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Hitlerbild/, Stand: Dezember 2020, dk