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[Kirche von Unten]

Zum Hitlerbild in der Deutschen Evangelischen Kirche

und

Ein Beitrag zur Kirchlichen Mitte

von Dietrich Kuessner

(Download des Buches einschließlich Anmerkungen als pdf hier)




Drei Beispiele für die kirchliche Mitte
Der Begriff „kirchliche Mitte“ beschreibt u.a. Bereiche, die für die damalige Zeit durchaus typische waren, aber bisher in einer Gesamtdarstellung kaum behandelt worden sind. Ich nenne dafür folgende Beispiele:

Das evangelische Pressewesen im Nationalsozialismus
Das evangelische Pressewesen befand sich zur Weimarer Zeit auf einem Höhepunkt. Es gab Ende der 20iger Jahre kirchliche Zeitungen und Blätter in einer unglaublichen und nicht wieder erreichten Auflagenhöhe von zwischen 5 und 7 Millionen Exemplaren.

1929 gab August Hinderer zusammen mit Gerhard Kaufmann ein umfangreiches „Handbuch der evangelischen Presse“ heraus. Es enthält u.a. eine Zusammenstellung aller erreichbaren Gemeindeblätter in den Landeskirchen mit Angaben über Herausgeber, Auflagengröße u.a. Diesem Handbuch ist die folgende Zusammenstellung entnommen, die einen ersten Eindruck von der enormen Vielzahl von Gemeindeblättern im Jahre 1929 geben.

Die auflagenstärksten Zeitungen der evangelischen Presse
Zu den auflagenstärksten Zeitungen  gehörten das Berliner Evangelische Sonntagsblatt, das wöchentlich zwölfseitig erschien, mit 48 Sonderausgaben für einzelne Kirchengemeinden, vor allem die Berliner Stadtkirchengemeinden, aber auch in Potsdam, Küstrin, Landsberg, Marienburg, Ermland u.a. in einer Auflage von 70.000 Exemplaren.

Das Evangelische Sonntagsblatt (Friede und Freude) für Westfalen, nach einer Annonce: „Größtes Sonntagsblatt Deutschlands mit 28 Kopfausgaben Aufl. rund 80.000  führend im kaufkräftigen westfälischen Industriegebiet,“ vor allem für die Städte: Bochum, Dortmund, Hamm, Münster, Recklinghausen.

Gemeindeblatt für die Kirchengemeinden der ev.-luth. Kirche in Schleswig –Holstein, mit einer Gesamtauflage von 75.000 Exemplaren und weiteren 54 regionalen Blättern in einer Auflagenhöhe von 864.820 Exemplaren.

Evangelisches Gemeindeblatt für die 400 Gemeinden des Württemberger Landes und eine für die Stadt in einer Gesamtauflage von 165.500 Exemplaren.

Das Kirchliche Gemeindeblatt für Sachsen, herausgegeben vom Evangelischen Landespressverband, 65.000 Exemplare dazu 260 Blätter mit einer Auflage von 1.106 941 Exemplaren,

Hannoversches Sonntagsblatt, herausgegeben vom Verlag der Inneren Mission mit einer  Auflage von 66.000 Exemplaren. Nach der Annonce „Ein Familienblatt zur Pflege christlichen Familienlebens, ein Heimatblatt für Nachrichten aus der niedersächsischen Heimat und Landeskirche, ein Blatt der Inneren Mission und evangelischer Öffentlichkeitsarbeit.“

Es wurden in der Hannoverschen Landeskirche 85 weitere Regionalausgaben mit einer Auflage von 356.839 Ex. genannt, darunter das Gemeindeblatt der Kirchengemeinden in Celle, Göttingen, Hildesheim, Lüneburg, der Ostfriesische Sonntagsbote (Auflage: 15.200 Ex.), die Kehdinger Heimatglocken, das Stader Sonntagsblatt Aufl. 8.900 Exemplare.

Evang. Sonntagsblatt für Rheinland, Saargebiet und Luxemburg, mit 59 Kopfausgaben und einer Auflage von rund 60.000 Exemplaren.

Evangelischer Gemeindebote (Baden), Auflage 30.000 Ex. und 53 Sonderausgaben.

Christliches Sonntagsblatt für Schlesien, 30.000 Ex. und 20 Sonderausgaben für Kirchengemeinden mit kleinen Auflagen zwischen 315 und 830 Exemplaren.

Evangelischer Kirchenbote,  Sonntagsblatt für die Pfalz 29.599 Ex. und 53 Sonderausgaben,

Evangelisches Gemeindeblatt für München.  „Es gehört zu den namhaftesten der Evangelischen Gemeindeblätter Süddeutschlands und ist auch im übrigen Deutschland und im Ausland verbreitet.“

Die Kirche – Der Sonntag Evangelisches Gemeindeblatt für Thüringen, Ev. protestantisches Sonntagsblatt mit 30 Sonderausgaben, „das verbreitetste volkstümliche evangelische Sonntagsblatt freier Richtung, verbreitet in Stadt und Land, besonders in Baden, Hessen, Nassau, Rheinland-Westfalen, Sachsen, Thüringen, ständige Auflage über 25.000, Herausgeber Kirchenrat F. Doerr, Richen.“

Unterhalb dieser größeren Kirchenzeitungen erschienen zu Hunderten  regionale Kirchengemeindeblätter.
1933 stellten diese Gemeindeblätter nicht etwa ihr Erscheinen ein, sondern sie bestanden zunächst größtenteils weiter und wurden sogar vermehrt durch die deutsch-christlichen Blätter, die allerdings durch eigene parteinahe Verlage vertrieben wurden.  Es gab hier  und da gelegentlich vorübergehende Einschränkungen, auch Verbote, aber auf das Ganze gesehen war das Weitererscheinen der kirchlichen Zeitungen unangefochten. Das war ein auffälliger Gegensatz  zu den seit Sommer 1933 verbotenen Parteizeitungen.

Außer diesen regionalen Kirchenzeitungen erschienen zwei großformatige Wochenzeitungen: „das Evangelische Deutschland“ (ED) und „die Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung“ (AELKZ). Für die Pfarrerschaft erschien monatlich „Das Pfarrerblatt“ außerdem  eine Fülle beschaulicher Kleinschriften für das fromme Gemüt, und für die Gebildeten unter den Kirchenmitgliedern: Der „Eckart“. Weiter geführt wurde schließlich die theologischer Fachliteratur: die großformatige Theologische Literaturzeitung, die Kommentarreihen für die Auslegung der Schriften des Alten und Neuen Testamentes, die Systematische Theologie wie die Gesamtausgabe von Luthers Werken, die sog. Weimarana. Es entstanden auch neue Zeitschriften wie die „Junge Kirche“ und „Das Luthertum“.

Die Fülle der  basisnahen Gemeindeblätter ist von der kirchengeschichtlichen Forschung noch nicht erfasst worden.  

Das kirchliche Zeitungswesen wurde zentral vom Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin gesteuert, der  die Kirchenblätter einmal wöchentlich mit Nachrichten versah,, die Tagespresse zweimal wöchentlich. In den Landeskirchen waren Presseverbände gebildet worden, die in Berlin im Gesamtverband der Presseverbände vereinigt waren. Der Gesamtpresseverband unterhielt neben dem epd weitere Abteilungen (u.a. Information, Rundfunk, Volksmusik,  Zentralbildkammer, Ausland, Schule, Kantorei). Dieser Pressekonzern war vom württembergischen Pfarrer August Hinderer seit 1918 aufgebaut worden.
Im Vorwort des Handbuches von Hindere Kaufmann „Handbuch für evangelische Presse“, 1929, gab der Herausgeber folgenden kritischen Rückblick auf die Masse der evangelischen Presseerzeugnisse:

„Kritiker der evangelischen Presse stoßen sich an ihrer äußeren Form. Man bemängelt eine gewisse Zurückgebliebenheit in der Ausstattung, altfränkisches Gewand, fehlende Beweglichkeit in der Anpassung an  veränderte Geschmacksbedürfnisse, auch in den mehr nebensächlich scheinenden Dingen wie Papierwahl, Druck, Illustration, vor allem Unzulänglichkeiten der ästhetisch-literarischen Gestaltung, psychologisch- unwahres Erzählgut, Langeweile, falsche Volkstümlichkeit, schulmeisternd pastoralen Zuschnitt.“  Hinderer ließ diese Kritik weniger für die Sonntags- und Gemeindeblattpresse gelten und schon gar nicht für die evangelischen  Kulturzeitschriften wie  „Zeitwende“ und „Eckart“. Aber er traf damit einen wunden Punkt der kirchlichen Gemeindepresse. Aber der Gartenlaubencharakter der Gemeindepresse spiegelte zutreffend das unkritische beschauliche Profil einer Kirchengemeinde, die sich nicht in das kirchenpolitische Getümmel und auch nicht in die Zugluft der bibelkritischen Höhenflüge begeben wollte, sondern Wochenendbehaglichkeit erstrebte und Erbauung des privaten Glaubens.

Damit war diese typische Art kirchlichen Pressewesens ein Musterbeispiel für die kirchliche Mitte im „Dritten Reich.“
Dieses ausgedehnte evangelische Pressewesen setzte die Anerkennung des Hitlerstaates als rechtlich geordnete, biblisch begründete Obrigkeit voraus. Für eine nachhaltige Untergrundpresse, wie nach 1945 gerne behauptet wurde, fehlten die Voraussetzungen.

Dieses außerordentlich differenzierte evangelische Schrifttum fand aus kriegsbedingten Gründen mit Ausnahmen im Juni 1941 ein Ende.

Es war das Werk des württembergischen Pfarrers August Hinderer.

August Hinderer
August Hinderer  war 1877 in einer schwäbischen, kinderreichen pietistischen Lehrerfamilie geboren. Er hatte in Tübingen, Greifswald und Halle Theologie studiert und war am 18. März 1900 ordiniert worden. Im Vikariat lernte er mehrere Gemeinden kennen und wurde auf Wunsch von Theophil Wurm Pfarrer in der evangelischen Gesellschaft in Stuttgart. Als solcher übernahm er die Schriftleitung des evangelischen Gemeindeblattes für Württemberg. Zehn Jahre später wurde er als Direktor des Pressverbandes für Deutschland nach Berlin berufen. Hier blieb er 27 Jahre lang bis zur Zerstörung Berlins. Er baute in der Weimarer Zeit den Evangelischen Pressverband zu einem „umfassenden, feingliedrigen Instrument evangelischer Öffentlichkeitsarbeit aus“.  Er prägte als Herausgeber die erste evangelische Wochenzeitung, das Evangelische Deutschland, die bis 1945 erschien. In den Häusern in Berlin-Steglitz waren 14 Abteilungen untergebracht, in denen 14 hauptamtliche akademische Kräfte arbeiteten, die sich außerdem mit Film, Rundfunk und Volksbildung beschäftigten. Der ev. Pressverband belieferte die Tageszeitungen mit Nachrichten aus der Kirche und außerdem die kirchlichen Zeitungen.

Otto Dibelius erlebte Hinderer aus nächster Nähe während seiner Zeit als kurmärkischer Generalsuperintendent und beschrieb ihn in seinen Erinnerungen „Ein Christ ist immer im Dienst“ folgendermaßen: „D. Hinderer hatte mit dem Scherl-Verlag ein Abkommen über die Berliner Tageszeitung „Der Tag“ getroffen. Ich muss hier einschalten, dass D. Hinderer, äußerlich unscheinbar, aber enorm klug, tatkräftig und zuverlässig, wie die Schwaben es so oft sind, nach dem ersten Weltkrieg eine evangelische Pressearbeit geschaffen hatte, aus dem Nichts heraus, umfassend, in jeder Beziehung vorbildlich. An der Spitze er selbst, Professor an der Universität für Publizistik. In seinem Betrieb ein Diktator, wie das Theologen, wenn sie etwas Besonderes leisten, so leicht werden. In jeder Landeskirche ein Presseverband, der sowohl die kirchliche wie die weltliche Presse umfasste. Ein schneller Nachrichtendienst über ganz Deutschland hin. Sonntagsblätter, Kirchenblätter. Eigene literarische Unternehmungen, Sonderabteilungen für Pädagogik, für Kunst und anderes. Alles mit bescheidensten Mitteln, aber wirksam und auf seine Weise großartig. Wie er es finanzierte, wusste niemand. Er ließ sich nicht in seine Karten gucken.“  Aus dieser Beschreibung im 30jährigen Rückblick spricht viel Hochachtung, treffende Beobachtung und Bewunderung.

Als die Deutschen Christen in Berlin noch im Juni 1933 stärksten Einfluss durch das Kommissariat des Staatssekretärs August Jäger erhielten, war der Evangelische Presseverband die allererste Zielscheibe Jägers. August Jäger ließ am 24. Juni 1933  umgehend durch die SA die Dienstgebäude des epd besetzen, entließ einige leitende Mitarbeiter, setzte Hinderer unter Hausarrest und besetzte seine Telephonleitung. Auch in den Landesverbänden des epd wurden Kommissare eingesetzt.

Jedoch wurde Jäger am 13. Juli auf Einspruch von Reichspräsidenten Hindenburg durch Hitler von seinem Posten abgelöst, die Kommissare auf Anweisung von Reichsinnenminister Frick in ihre alte Arbeit wieder eingesetzt, und auch Hinderer nahm wie bisher seine Arbeit vollständig wieder auf. Der Vorgang spiegelt eine dichte Vernetzung Hinderers in einflussreichen Kreisen wider, was ihn auch unabhängig von den Kirchenleitungen agieren ließ.

Als August Jäger im Februar 1934 von Hitler erneut als Staatskommissar eingesetzt wurde, begann er umgehend, Hinderer  aus seinem Arbeitsplatz herauszudrängen und den epd endgültig zu beherrschen und auf deutsch-christliche Linie zu bringen. Aber die Beziehungen Hinderers zum Auswärtigen Amt, zum Innenministerium und zum Amt des Reichspräsidenten verhinderten die Intrigen Jägers. Jäger blieb als einziges Mittel die Ermordung Hinderers, der am 26. Juni 1934 verhaftet, in das SS Gefängnis in der Prinz Albrecht-Straße und dann in das Berliner Columbia-Haus verschleppt wurde. Jäger versuchte nun die Belegschaft der Dienststelle in Abwesenheit Hinderers zu spalten, die sich jedoch mit ihrem Chef solidarisierte und alle Hebel in Bewegung setzte, um Hinderer aus dem Gefängnis zu holen. Offensichtlich sollte Hinderer im Zuge des innenpolitischen Putsches Hitlers gegen die bürgerliche Elite Berlins und die Führung der SA, im Sprachjargon der Nazis des „Röhmputsches“, ermordet werden. Sechs Stunden vor Beginn der Massenerschießungen wurde Hinderer am 29. Juni 1934 auf dringendes Anraten des Auswärtigen Amtes und des Reichspräsidenten wieder freigelassen und entkam ganz knapp dem Tode, wie Hunderte prominenter Berliner nicht.  

Nun versuchte Jäger, durch einen Boykott den evangelischen Pressedíenst geschäftlich unschädlich zu machen. Er untersagte sämtlichen Kirchenbehörden der Kirchen der altpreußischen Union den geschäftlichen Kontakt mit dem epd. Dagegen suchte Hinderer den Aufbau eines unabhängigen Freundeskreises, wobei er darauf Wert legte, dass dieser weder durch DC noch durch die BK profiliert waren. Wie seiner Zeit die intakten lutherischen Landeskirchen eine gruppenfreie Landeskirche erstrebten, so hielt Hinderer den epd auf einen zu den unterschiedlichen Gruppen der Bekennenden Kirche wie zu den der Deutschen Christen unabhängigen Kurs. Hinderer blieb als früherer württembergischer Pfarrer seiner

Kirche eng verbunden, aber blieb unabhängig von dem kirchenpolitischen Kurs der Kirchenleitungen, der jeweiligen kirchlichen Parteien und Gruppierungen. Hinderer blieb nach den üblen Erfahrungen mit Kommissar Jäger vorsichtig gegenüber den deutsch-christlichen Kirchenleitungen. Von seinem ablehnenden Urteil gegenüber Hitler, wie er es gegenüber den Kirchenführern Anfang März 1933 geäußert hatte, rückte er nicht ab.

Dieser eigenständige und unabhängige Kurs stieß auf Ablehnung auch der Mitglieder der Bekennenden Kirche, denen geraten wurde, das Evangelische Deutschland abzubestellen. Auch die lutherischen sog. „intakten“ Kirchen, deren Methode der Anpassung sehr groß war, boykottierten Hinderers Arbeit. Ohne Frage hatten sich die Bischöfe Meiser, Marahrens und Wurm seit ihrem Gespräch mit Hitler am 30. Oktober 1934, dem daraus resultierenden Ende ihres Hausarrestes und der endgültigen Wiederaufnahme ihrer bisherigen Amtstätigkeit gegenüber der Person und Politik Hitlers in eine unvergleichlich größere Abhängigkeit begeben als es je in den Blättern des Evangelischen Deutschland lesbar war.

In der Zeit des Reichskirchenausschusses (Oktober 1935-Februar 1937) konnte sich Hinderer abgesicherter fühlen als in der Zeit davor. Der Reichskirchenausschuss versuchte selbst einen Kurs der kirchlichen Mitte zu steuern. Dem Kirchenminister Hanns Kerrl indes genügte diese Politik der Mitte nicht,  und er löste den Reichskirchenausschuss wieder auf.

Hinderer steuerte das „Evangelische Deutschland“ nicht nur kirchenpolitisch unabhängig zwischen den Deutschen Christen und der Bekennenden Kirche hindurch in eine kirchliche Mitte, sondern der Evangelische Pressedienst war auch finanziell unabhängig von der Finanzwirtschaft der Landeskirchenbehörden. Das Evangelische Deutschland erwirtschaftete seit 1924 bis 1940 einen Reingewinn von  551.169,05 RM. Im Jahr 1939 lag der Reingewinn noch bei 17.528,88 RM,  1940 bei 6.728 RM. Diese Unabhängigkeit erzeugte nicht überall Freude.  „Wie er es finanzierte, wusste niemand. Er ließ sich nicht in die Karten gucken“.

Die Kirchenzeitung „Das Evangelische Deutschland“
Was war im Evangelischen Deutschland zu lesen? Ich greife die Ausgaben des Jahres 1938 heraus, weil später von einem Mitarbeiter Hinderers wahrheitswidrig behauptet worden ist, dass der epd ab 1937 von den Nazis in die Illegalität abgedrängt worden sei. Hinderer lieferte mit den wöchentlichen Ausgaben des Evangelischen Deutschland im Jahr 1938 der evangelischen Pfarrerschaft unter der Überschrift „Aus Kirche, Leben und Zeit“ ein reichhaltiges Angebot an Nachrichten aus den Landeskirchen und der Ökumene, der katholischen Kirche, er setzte die Serie mit Nachrichten über den Kirchenbau im Dritten Reich fort. Der Architekt  Winfried Wendland, Berlin. veröffentlicht einen längeren Aufsatz über Kirchbau heute  (S. 69-71) „Nach wie vor ist der Kirchbau eine  Angelegenheit der Gemeinde.“ Er schlug ausbaufähige kleine Zellen vor, aus denen dann eine Gemeinde später den größeren Bau entwickeln könne, weiterhin in Randsiedlungsgebieten kleinere Kirchen, oder in der bayrischen Landeskirche Gemeindesäle zur Gemeindebildung.

Der Leser erfährt Nachrichten aus der Inneren und Äußeren Mission, vom Umbruch in der Welt des Islam ( S. 60). Der Islam sei moderner geworden durch Teilhabe am Welthandel und Weltverkehr. Durch eine Bewegung von innen heraus seien die orthodoxen Bewegungen im Rückzug.

Das Evangelische Deutschland war um ein positives Bild der Kirche nach außen hin bemüht.
Es veröffentlicht z.B. die Verkaufsziffern für Bibeln: 1931: 567 212;  1934; 1.133 012; 1936: 934 232.
Die Anzahl der Pfarrstellen sei stabil geblieben. Sie betrug  1937: 13 408,   1928: 13 591 Stellen.
Die Kirchenaustrittszahlen in Hamburg seien nicht beängstigend! (S. 73) Die Landeskirche erlebe eine neue Wendung zur Kirche hin.

Es wurden in Grundsatzartikeln biblische Grundbegriffe z.B. Erlösung und Schuld und unterschiedliche Deutungen dargestellt, auch in Auseinandersetzung mit deutschgläubigen Gruppen.
In der Reihe „Wenn ich Pfarrer wäre..“ wurde das Gespräch zwischen Theologen und Nichttheologen mit praktischen Vorschlägen wie Bitte um kürzere, freie Predigten und freiere Textwahl aufgenommen.

Deutlich ist der Blick auf die Kirchengemeinde gerichtet. Es werden unter der Rubrik Neue Wege zum Gemeindeaufbau (S. 40) der Einbau des Patenamtes in die Gemeinde diskutiert.

Dem 5 jährigen Gedenken des Tages der „Machtergreifung“, dem 30. Januar, sind kümmerliche elf Zeilen gewidmet, die gut aus dem Propagandaministerium vorgegeben sein könnten:  „Mit dem gesamten deutschen Volk gedenken wir zum fünften Jahrestag der deutschen Wende in tief von Herzen kommendem Dank und mit dem Gelöbnis unwandelbarer Treue des gewaltigen Aufbauwerkes, das der staatsmännische Wille des Führers und die von ihm geschaffene Bewegung in Leben und Ordnung von Volk und Staat im Zeitraum von wenigen Jahren geleistet hat.“

Gleichzeitig mit dieser Lobhudelei veröffentlichte Hinderer zum  30. Januar 1938 den Artikel „Ist das Christentum lebensverneinend?“ aus der Feder von Ewald Burger, Tübingen. Burger ignorierte  diese Lieblingsmelodie  Rosenbergs und seiner Anhänger und schrieb gut christologisch dagegen: „Christus sagt nicht Ja zum Leben, er sagt nicht Nein zum Leben, er sagt; ich bin das Leben. Sein aus Gott geborenes, von Gott erfülltes Sein verdient allein den Namen: Leben...Nun ist die Frage nicht mehr Verneinung oder Bejahung des Lebens, nun lautet die Frage nur noch: wird das Leben seinen Herrn anerkennen oder kommt er in sein Eigentum, und die  Seinen nahmen ihn nicht auf? Wird sich der Leib, die Seele, der Geist  zu seinen Füßen legen, damit er der Herr sei, oder werden sie sich erheben, um selbst die Herren zu sein?  Es ist die Aufgabe unserer Generation, das wahrhaftige Leben in Jesus Christus wieder ganz radikal zu verstehen als das, was diesem ganzen sogenannten „Leben“ erst seinen Sinn und seinen Inhalt, seine Rechtfertigung und seine Erfüllung gibt.“  So nutzte Hinderer den Freiraum der kirchlichen Mitte, den er sich durch unvermeidliche Zwangsübernahme von Texten des Propagandaministeriums geschaffen hatte.

Zwischen den Zeilen war auch eine tagespolitische Zurückhaltung spürbar. Zur Abstimmung am 9. April 1938, dem der Überfall auf Österreich vorausging, wurden zwar die Dankgottesdienste in Österreich vermerkt, aber es erschien kein besonderer Redaktionsartikel zu diesem riesig aufgemachten politischen Ereignis. Es erschien auch nicht die Kanzelabkündigung zum Abstimmungstag und zwar mit folgender Begründung: „Wie wir hören, wird am kommenden Sonntag von den Kanzeln der ev. Kirchen ein Aufruf verlesen werden, der zu Dank und Fürbitte für den Führer und sein Werk  und zum Einsatz bei der Wahl mit einen freudigen Ja auffordert. Der Wortlaut liegt bei Schluss der Redaktion noch nicht vor“.

Dagegen  ließ sich Hinderer folgende Passage aus der Hitlerrede am 28. März im Sportpalast nicht entgehen: „Gegen die Kirche sind wir nie gewesen, gegen den Glauben erst recht nicht. Wenn wir antireligiös oder antikirchlich oder antigläubig wären, wäre dann der Segen des Allmächtigen so bei unserer Bewegung gewesen? Wir haben die ganze Kraft unseres religiösen Gefühls gebraucht, um den furchtbaren Kampf durchhalten zu können.“

Das „Evangelische Deutschland“ ist ein Paradestück des Taktierens und Informierens unter den schwierigen  Begleitumständen einer unter ständiger staatlicher Beobachtung und Bevormundung stehenden Zeitung. Die damaligen Leser  waren es gewohnt zwischen den Zeilen zu lesen und abzuwägen, ob es inhaltlich wie stilistisch mehr das Propagandaministerium war oder mehr Hinderer oder ein Gemisch. Das macht auch den Reiz der heutigen Lektüre aus. Ohne dieses Fingerspitzengefühl wird man dem Text nicht gerecht.
Es bleibt eine Folge der Haltung der Kirchlichen Mitte, dass im braunen Deutschen Reich, in dem jede Form von parteiunabhängigen Zeitungen allmählich und seit dem Frühjahr 1941 infolge der Kriegseinschränkungen vollkommen verschwunden war, das „Evangelische Deutschland“ zwar mit großen Einschränkungen weiter erscheinen konnte und die/der evangelisch interessierte Leserin/Leser noch andere Nachrichten und Informationen erhielt als die der braunen Tagespresse,  wie z.B. Gestalten der  christlichen Frühgeschichte vom Tübinger Neutestamentler Otto Michel, aber auch die tägliche Bibellese, Monatsspruch, Monatslied, den Textplan für den Kindergottesdienst.

Es ist dem Wirken der Kirchlichen Mitte zu verdanken, dass bis 1945 die Herrnhuter Losungen im Druck erschienen sind, obwohl eine Drucklegung verboten werden sollte, aber Goebbels auf Intervention erfolgreich für ihr Weitererscheinen plädierte.   

Weitere Veröffentlichungen
Begreiflicherweise produzierte der Kirchenkampf zwischen der Bekennender Kirche und den Deutschen Christen eine Menge an Dokumentationen, Flugblättern, Aufsätzen und monatlich oder wöchentlich erscheinenden Zeitschriften. Die gehören nicht in dieses Thema. Gerhard Stoll hat sie, begrenzt auf das Jahr 1933, beschrieben. Aber wenig Beachtung hat die weiterhin erscheinende theologische Fachliteratur gefunden, als ob ihr Erscheinen im braunen Staat eine Selbstverständlichkeit sei. So gehört das Weitererscheinen der althergebrachten Zeitschriften für Altes und Neues Testament, für Systematische Theologie, für Kirchengeschichte, für Pastoraltheologie zum damaligen Erscheinungsbild der Kirche zunächst abseits der Auseinandersetzung zwischen DC und BK, und daher in gewissen Sinne in den  Zusammenhang des Themas der Kirchlichen Mitte. In den von Ernst Wolf herausgegebenen „Beiträge zur evangelischen Theologie“ erschien 1941 ein Vortrag den Rudolf Bultmanns am 4. Juni 1941 in Alpirsbach bei der Tagung der Gesellschaft für evangelische Theologie über „Neues Testament und Mythologie“ gehalten hatte. Es war der bedeutsamste und nachhaltigste Anstoß in der theologischen Forschung für Jahrzehnte.  In einem sog. Entmythologisierungsprogramm arbeitete Bultmann, Professor für Neues Testament an der Universität Marburg, die Kluft zwischen dem neuzeitlichen, naturwissenschaftlichen Weltbild und dem biblischen mythischen Weltbild heraus, hielt z.B. Himmelfahrt, Wunder- und Dämonenglauben, Auferstehung als historisches Ereignis für „erledigt“, wollte das mythischen Weltbild indes nicht aus dem biblischen Zusammenhang eliminieren, sondern durch eine existentiale Interpretation für den Glauben fruchtbar machen.  Der Vortrag löste sofort noch während der nationalsozialistischen Zeit eine heftige Diskussion aus, die sich im Deutschen Pfarrerblatt 1942 und 1943 zu einer schriftlichen Kontroverse mit Paul Althaus, Helmut Thielecke u.a. auswuchs, gelegentlich mit peinlicher Polemik. Bei der Diskussionen in der Berliner Bekennenden Kirche verglich der damalige Leiter, Pfarrer Hans Asmussen, die Bultmannschen Thesen mit den Irrtümern der Deutschen Christen. Im Rahmen dieser Arbeit genügt der Hinweis auf enorme, weiterführende theologische Anstöße und Diskussionen während der ns. Zeit. Vorausgegangen war Bultmanns bedeutsamer Kritischer Kommentar zum Johannesevangelium. Kommentar und Vortrag nannte Dietrich Bonhoeffer die „wichtigsten neueren theologischen Publikationen.“  

Ein Blick in die Theologische Literaturzeitung informiert über die erhebliche Produktion und Veröffentlichung theologischer Werke in den Jahren 1937 und 1939. Dazu gehörte die Weiterarbeit an der Luthergesamtausgabe, der Weimarana, und die ersten vier Bände des Theologischen Wörterbuchs zum Neuen Testament. Neben schwergewichtigen theologischen Wälzern gab es eine ausgedehnte Produktion für die Hand der Gemeinde. Zu ihren erfolgreichen Verfassern gehörte Otto Dibelius. Er veröffentlichte im Berliner Kranzverlag eine Schriftenreihe in sechs kleinen Bänden zum Thema „Christus und die Deutschen“ (1935/1936), zur Information der Gemeindemitglieder über den Kirchenkampf, zusammen mit Martin Niemöller „Wir rufen Deutschland zu Gott“ (1937), im Furcheverlag „Bericht von Jesus aus Nazareth - Tatsachen von gestern und heute“(1938), 1939 7. und 8. Tausend; „Die Jünger. Ein Bericht über die Nachfolge  damals und heute“  (1939), außerdem: „Die werdende Kirche. Eine Einführung in die Apostelgeschichte“. „Vom Erbe der Väter“ 1941, Heimatdienstverlag, 144 Seiten. Dazu kamen viele Flugblätter. Einige dieser Schriften wurden wegen ihrer leichten Lesbarkeit noch nach 1945 neu verlegt.

Ich will nur eine Schneise schlagen in das Dickicht jener Zeit abseits von sog. Kirchenkampf.



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