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[Kirche von Unten]

Zum Hitlerbild in der Deutschen Evangelischen Kirche

und

Ein Beitrag zur Kirchlichen Mitte

von Dietrich Kuessner

(Download des Buches einschließlich Anmerkungen als pdf hier)




Ein zweites Beispiel für die Kirchliche Mitte:
Das kirchliches Bauen zur Zeit des Nationalsozialismus
2017 wurde bekannt, dass an der Glocke in der Dorfkirche des niedersächsischen Schweringen ein Hakenkreuz angebracht war. Ein Hinweis, dass sie zur Zeit des Nationalsozialismus aufgehängt worden war. Im Dorf gab es Streit, ob das Hakenkreuz entfernt werden solle. Ganz Eifrige beseitigten das damalige Staatswappen mit einer Flex und machten die Glocke unbrauchbar. Andere Kirchen meldeten sich mit einem ähnlichen Malheur. Der evangelische Pressedienst machte noch weitere Glocken mit Hakenkreuz ausfindig und meldete „Noch mehr als 20 „Nazi-Glocken“ in Kirchen, nämlich 21 Glocken in evangelischen Kirchen und zwei in katholischen.“ Ich selber entdeckte an der Büddenstedter Friedhofskapelle neben dem Abzeichen der Braunschweigischen Kohlenbergwerke ein Hakenkreuz. Es war mein Nachbardorf, wo ich häufiger Vertretung hatte. Ich gestehe, dass mich die Entdeckung nicht sonderlich erregt hatte. Der Friedhof war ca 1936 eingeweiht worden. Statt derlei Glocken abzuhängen, ins Museum zu verfrachten oder zu verfremden, wäre es fruchtbarer, die Gemeindemitglieder der betroffenen Kirchengemeinden beschäftigten sich mit der Entstehung des Hakenkreuzes an ihrer Glocke. War etwa ihre Kirche in der Nazizeit errichtet worden? Das hatte man ihnen in der Schule nicht erzählt, höchstens, dass Hitler, das Monster, alle Kirchen nach dem Krieg beseitigen wollte. Kirchen bauen? Das passte nicht in ihr Geschichtsbild.

Bei nüchterner Nachforschung hätten sie herausfinden können, dass in der nationalsozialistischen Zeit im Deutschen Reich insgesamt 370 katholische und 190 evangelische Kirchen neu errichtet worden waren. So viele? Da staunten 2008 die Besucher der Berliner Ausstellung „Christenkreuz und Hakenkreuz - Kirchenbau und sakrale Kunst im Nationalsozialismus“, die den Kirchenbau ausführlich dokumentierte.

Als herausragende Beispiele für den katholischen Kirchbau jener Zeit gelten die 88 Meter lange Abteikirche Münsterschwarzach, die 1938 fertiggestellt wurde, und die St. Wolfgangkirche in Regensburg, die 1940 in Gebrauch genommen wurde. 1938 wurde in Nürnberg der Rundbau der evangelischen zwölfeckigen Reformations-Gedächtniskirche fertiggestellt, 1937 die Lutherkirche in Hamburg-Wellingsbüttel und im selben Jahr die Lübecker Lutherkirche. 1935 wurde in der NS-Mustersiedlung die Gustav Adolf Kirche in München Ramersdorf errichtet. Es gibt viele weitere Beispiele. War der Kirchbau im Nationalsozialismus ein Geheimnis, waren die Quellen irgendwo vergraben? Nichts dergleichen. In der Zeitschrift „Kirche und Kunst“ wurde Monat für Monat über Kirchenneubauten und Kirchenumbauten berichtet. Ich greife absichtlich ein spätes Jahr, 1938 heraus. Heft 4 Berlin 1938 berichtet auf den Seiten 21 und 22 von 36 neuen kirchlichen Bauten, davon u. a. 13 Gemeindehäuser, acht Kirchen, drei Friedhofskapellen, zwei Kapellen und 14 renovierten Kirchen, acht fertiggestellt, andere in der Planung. Für die am 27. Februar 1938 eingeweihte Kirche in Dortmund-Mengede schenkte der „Führer“ ein Altargerät. Im Heft 5 desselben Jahres sind 15 neue Kirchliche Bauten vermerkt, im Heft 4 1939 16 neue Kirchen und 22 Kirchenerneuerungen. Dieses Heft enthält mit zahlreichen Abbildungen Aufsätze über Dorfkirchen.  Im Heft 4/ 1940 werden zwei neue fertige Kirchen in Elsenau und eine Kleinkirche in Rothaus bei Oppeln, eine fertiggestellte Friedhofskapelle und ein Gemeindehaus im Plan erwähnt, dazu sieben erneuerte Kirchen, im Heft 5/6 1940 die Fertigstellung eines Gemeindesaales, eines Gemeindehauses und einer Kapelle, und unter Erneuerte Kirchen 8 Kirchenrenovierungen, mal der Turm, mal eine Neuausmalung, mal ein Gemeindesaal.  Beate Rossie nennt außer den Neubauten insgesamt größere Umgestaltungen an 500 weiteren, meist neugotischen Kirchen.

Aber auch Gemeindehäuser und Friedhofskapellen sowie die kirchliche Kunst trugen deutliche Spuren jener Zeit. Jesus ist mit heldenhaften Zügen ausgestattet, gelegentlich auch blond und blauäugig, eben nordisch, arisch, auf keinen Fall jüdisch, vorderorientalisch, wo Jesus nun mal herkam. In der Lutherkirche in Offenbach-Bieber gucken die Gottesdienstbesucher auf ein Riesengemälde hinter dem Altar, sieben Meter breit, vier Meter hoch, abgebildet die Kreuzigung, einer der Schächer ein Jude mit den Gesichtszügen eines Juden aus dem Hetzblatts Der Stürmer. Das „Gemälde“ von Hans Kohl (1897-1990) hängt heute noch da.  Von der Kanzel sieht ein breitbeiniger Schwertträger in die Hörergemeinde, rechts davon Mutter und Kind, links  Bauer mit Pferd. In der Dreifaltigkeitskirche in Mannheim-Sandhofen ist die Rundung hinter dem Altar als Kriegerehrung umgestaltet.  Luther zur Linken steht ein Soldat in Uniform, Mantel, Stahlhelm, Gewehr und Patronentasche. Heute noch.

Am deutlichsten sind jene Spuren an der Martin-Luther Kirche in Berlin Mariendorf abzulesen. Der Taufstein wird von einem SA Mann mit gesenktem Blick  getragen, die Hände gefaltet, die Mütze abgenommen, der Triumphbogen ist mit nationalozialistischen und christlichen Symbolen versehen, die Kanzel mit damals typisch deutschen Familienfiguren, ein Jüngerer mit dem Gesichtszug von Horst Wessel. Die  gut erhaltene Martin Luther Kirche soll deshalb als eine Dokumentationsstätte eingerichtet werden. Im von Stefanie Endlich, Monica  Geyler-von Bernus und Beate Rossie herausgegebenen Katalogbuch zur Ausstellung sind zahlreiche weitere Beispiele dokumentiert.

Die Ausstellung wirft neue Fragen auf. Zum Kirchbau benötigten die Bauherren, nämlich die Landeskirchen, die Baugenehmigung der örtlichen Behörden. Ohne sie war kein Kirchbau möglich. Da war eine ersprießliche Zusammenarbeit unerlässlich. Es gab gewiss auch Spannungen und Verzögerungen bei der Baugenehmigung und Baudurchführung. Am Ende jedoch wurden die Genehmigungen für die  neuen Kirchbauten erteilt. Eine weitere Frage ist die der Kosten. Der Nazistaat zahlte in der Regel keine Zuschüsse. Die Landeskirchen trugen die hohen Kosten alleine. Waren die evangelischen Kirchen finanziell so reichhaltig ausgestattet, dass sie die Baukosten alleine stemmen konnten? Was wirft das für einen Blick auf die viel geschmähte Weimarer Zeit, in der die Baurücklagen erstellt worden waren? Das sind alles Fragen, die sich aus einer Darstellung der kirchlichen Mitte ergeben.

Beim Kirchbau kam es auch zu skurrilen Vorgängen. In Bremen waren drei schlichte Kirchen errichtet worden, und der überkandidelte deutsch-christliche Bischof Weidemann wünschte für eine Kirche den Namen Horst Wessel-Gedächtnis-Kirche. Es war Hitler, der diese Abstrusität mit einem Führererlass unterband. Darin hieß es: „Ich wünsche grundsätzlich nicht, daß kirchliche Gebäude nach Kämpfern und Helden der nationalsozialistischen Bewegung benannt werden, die nicht mehr unter den Lebenden weilen.“



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Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Hitlerbild/, Stand: Dezember 2020, dk