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[Kirche von Unten]

Zum Hitlerbild in der Deutschen Evangelischen Kirche

und

Ein Beitrag zur Kirchlichen Mitte

von Dietrich Kuessner

(Download des Buches einschließlich Anmerkungen als pdf hier)




Reaktionen aus der evangelischen Kirche auf das Angebot der Regierung Hitler zur Zusammenarbeit.
In den Kirchenleitungen wurden die neuen Töne in der Regierungserklärung aufmerksam registriert. Kirchenpräsident Theophil Wurm ermunterte die Pfarrer der württembergischen Landeskirche nur vier Tage nach der Regierungserklärung am Sonntag Lätare, dem 26.3.1933, zur freudigen Mitarbeit mit dieser Regierung und nannte dafür die beiden für ihn zentralen biblischen Stellen.  „Das alttestamentliche „Suchet der Stadt Bestes“ und das Pauluswort aus dem Römerbrief „Jedermann sei untertan der Obrigkeit“ (Röm. 13,1) bleiben allezeit in Geltung. Wenn Deutschland  heute einer belagerten Stadt gleicht, in der nach einer höchst gefährlichen Zeit der Verwirrung und Spaltung eine einheitliche zielbewusste Führung durch das Zusammenwirken verantwortungsbewusster Männer zustande gekommen ist, der die Volksvertretung in ihrer überwältigenden Mehrheit diese weitgehende Vollmacht erteilt hat, so liegt für die evangelische Kirche wahrhaftig kein Grund vor, abseits zu stehen – vielmehr darf und muss sie dafür danken, dass durch diese Einigung der völlige Zusammenbruch von Volk und Staat und der Sieg zerstörender Mächte im letzten Augenblick verhindert worden ist.“

Später versicherte Landesbischof Wurm vor der Versammlung des württembergischen Pfarrervereins „Die Kirche vertraut auf  das Wort des Reichskanzlers bei der Reichstagseröffnung“.

Die Kirchenleitung der Kirchen der altpreußischen Union (ApU), (dazu gehörten u.a. die Landeskirchen von Ostpreußen, Pommern, Grenzmark Posen-Westpreußen, Schlesien, Mark Brandenburg, Kirchenprovinz Sachsen, Westfalen, Kirchenprovinz Rheinland, Kirchenprovinz Hessen-Nassau, Landeskirche Schleswig-Holstein) erließ  Mitte April eine Kanzelabkündigung, die am Osterfest 1933, dem 16. April, verlesen werden sollte. Der Oberkirchenrat nannte den Regierungswechsel eine große Wende durch Gott, einen Aufbruch tiefster Kräfte unserer Nation zu vaterländischem Bewusstsein, „zu echter Volksgemeinschaft und religiöser Erneuerung“. Der Oberkirchenrat fühle sich der Führung des neuen Deutschland dankbar verbunden. „Sie (die Kirche der ApU D.K.) ist freudig bereit zur Mitarbeit an der nationalen und sittlichen Erneuerung unseres Volkes“. Diese Kanzelabkündigung übermittelte den Gemeindemitgliedern nach der Predigt am Ostersonntag den Eindruck einer großen Wende. Eine große Wende wünscht keine Rückkehr zu früheren politischen Verhältnissen, zumal diese Wende auf eine religiöse Erneuerung in der deutschen Bevölkerung zielte, wozu der Oberkirchenrat freudige Mitarbeit versprach. Sie vermittelte den Eindruck von der neuen Regierung als einer „christlichen Obrigkeit“.

Der Aufruf war keine Berliner Besonderheit für die Kirchen der alt- preußischen Union. In der Kanzelabkündigung der Kirchenleitung der bayrischen Landeskirche hörten die Gottesdienstbesucher am Ostersonntag 1933 in den bayrischen evangelischen Kirchen u.a. folgende Sätze: „Ein Staat, der wieder anfängt, nach Gottes Gebot zu regieren, darf in diesem Tun nicht nur des Beifalls, sondern auch der freudigen und tätigen Mitarbeit der Kirche sicher sein.“ Dann zählte der bayrische Landeskirchenrat alle Facetten eines christlichen Deutschland auf: Der neue Staat wehre der Gotteslästerung, gehe der Unsittlichkeit zu Leibe, richte Zucht und Ordnung mit starker Hand auf, rufe zur Gottesfurcht, die Ehe sollte wieder heilig gehalten und die Jugend christlich erzogen werden.“  Eine solche Kanzelabkündigung wurde nicht als banale Bekanntmachung wahrgenommen, sondern erhielt durch ihren Platz nach der Predigt eine besondere Autorität.

Einige Monate später nannte der neue bayrische Bischof Hans Meiser im großen Hörsaal der Münchner Universität die theologischen Gründe für die fundamentale Zustimmung zum Hitlerstaat. Die Kirche habe sich dem Staat zur Verfügung gestellt, „um mit voller innerer Kraft an dem Neubau des Staates mitzuwirken, damit Staat, Volk und Kirche in innerster Verbundenheit in die neue Epoche deutscher Geschichte eintreten könnten. Indem die evangelische Kirche Würde und Autorität des Staates von Gott herleite, binde sie den Menschen an den Staat und schaffe so eine Gefolgschaft, wie sie treuer von niemand geübt werden kann“.  Diese von Meiser hervorgehobene „innerste Verbundenheit“ mit dem nationalsozialistischen Staat und die daraus abgeleitete Gefolgschaft ist bis zum Kriegsende vom bayrischen Landesbischof nicht widerrufen, aber nach 1945 verdeckt und verdrängt worden.


Die Kirche rechtfertigt den Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933.
Besonders machte es Hitler zu schaffen, dass die internationale Presse seit dem Regierungsantritt über ihn und seine Politik lästerte. Die Deutschlandkorrespondenten der internationalen Presse schwärmten im ersten Vierteljahr 1933 im ganzen Reich aus und berichteten wenig schmeichelhaft für ihre Zeitungen in Paris, London und New York über Hitlers Person und Regierung. Hitler bedeutete für einen Teil der französischen Presse eine Erhöhung der Kriegsgefahr in Europa. Hitler wurde eine Lieblingsfigur der politischen Karikatur der ausländischen Presse. Sie berichtete auch über die brutalen Überfälle der SA und der Hilfspolizei. Am Bahnhofskiosk jeder größeren Stadt waren ausländische Zeitungen auch  für deutsche Leser erhältlich, die nun erfuhren, was in ihren Zeitungen kaum noch oder nur verkürzt gedruckt werden konnte. So schilderte z.B. der Manchester Guardian am 16. März, wie bewaffnete Männer in Straubing  in das Haus eines jüdischen Kaufmannes eindrangen, ihn aus dem Bett und in ein Auto zerrten. Draußen wurde er erschossen aufgefunden.

Karikatur Schraube anziehen
Eine französische Zeitung veröffentlichte im Mai 1933 zum schauerlichen Bild von ausgepressten Körpern jüdischer Männer und Greise die Erklärung: „Wenn uns das Ausland der Barbarei beschuldigt, wird man die Schraube noch etwas anziehen.“
Hitler mit Stock und Peitsche, an der Schraubzwinge zwei lachende SA Männer.
Die Auslandskorrespondenten, die in Deutschland herumschwärmten, ließen sich jedoch durch den Boykott nicht beirren und berichteten weiterhin von den zahlreichen „barbarischen“ Übergriffen.
Zahlreiche jüdische Familien hatten bereits eine Ausreise beantragt, wohl auch nach Palästina. Die Karikatur stammt aus einer Zeitung in Kairo.


Diese fürchterlichen Überfälle in aller Öffentlichkeit waren für die offiziöse Kirche kein sichtlicher Anlass, bei den Behörden und Parteizentralen Protest einzulegen. Aber im Ausland rührten sich die der evangelischen Kirche verbundenen ökumenischen Kreise aus England, Skandinavien und Amerika mit Protestbriefen an den Kirchenausschuss in Berlin. Andere Protestgruppen riefen Ende März zu einem weltweiten Boykott deutscher Waren auf. Das konnten die deutschen evangelischen Kirchengemeinden als willkommene stellvertretende entlastende Aktion verstehen. Die Reichsregierung erwiderte den Boykott des Auslands mit einem Aufruf zum Gegenboykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 mit der unsinnigen Behauptung von „Gräuelpropaganda jüdischer Presse“ im Ausland. Es war ein feiger kriegsartiger Schlag gegen einen wehrlosen Gegner. Schaufensterscheiben wurden beschmiert, beschädigt, eingetreten, Wohnungen mit einem „Judenstern“ kenntlich gemacht. Bürger verhaftet. Es war ein plastischer Eindruck jenes am 1.Feburar von Hitler angekündigten „unbarmherzigen Krieges.“ Auffällig indes war, wie weit in der deutschen Bevölkerung die Gefolgschaft für ein staatsterroristisches Vorhaben bereits gediehen war, aber auch, wie der Boykott von wenigen, engagierten Bürgern durchbrochen wurde.

Der Boykott am 1. April wurde regional unterschiedlich energisch durchgeführt, und wegen möglicher negativer wirtschaftspolitischen Folgen noch am selben Tage abgeblasen.

Die evangelische Kirche erwiderte die Protestbriefe des Auslands mit der erbärmlichen Behauptung, dass im Deutschen Reich alles in Ordnung sei und die Berichte der ausländischen Korrespondenten übertrieben und aufgebläht seien. Das Telegramm des Evangelischen Oberkirchenrats, Berlin, lautete: „Warne dringend, übertriebenen und erdichteten Berichten über Terror in Deutschland Glauben zu schenken“. Der Präsident des Kirchenausschusses Kapler verstieg sich in seiner Antwort zu der Behauptung, die Reichsregierung gewährleiste Sicherheit und Ordnung im Deutschen Reich. Die Beteiligung amerikanischer kirchlicher Kreise am Boykott würde der Zusammenarbeit „schweren Schaden“ zufügen. In Genf startete bei der Jahrestagung des christlichen Jungmänner-Weltbundes der Reichswart der deutschen evangelischen Jungmännerbünde Reichswart Erich Stange einen geharnischten Protest gegen „die Verleumdungen  seines Vaterlandes und seiner Staatsmänner“. So rechtfertigten prominente Persönlichkeiten der evangelischen Kirche den Naziboykott jüdischer Geschäfte.  



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Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Hitlerbild/, Stand: Dezember 2020, dk