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[Kirche von Unten]

Zum Hitlerbild in der Deutschen Evangelischen Kirche

und

Ein Beitrag zur Kirchlichen Mitte

von Dietrich Kuessner

(Download des Buches einschließlich Anmerkungen als pdf hier)




Das Ende des Hitlerreiches und Reaktionen von Bischöfen
Hitler hatte 1939 persönlich die militärische Führung aller deutschen Truppen übernommen und hatte als „Feldherr“ vollständig versagt. In einem einzigartigen „Blitzkrieg“ eroberten die alliierten Truppen im Frühjahr 1945 das große Gebiet des Deutschen Reiches. Das linksrheinische Köln wurde bereits am 5. März eingenommen, Danzig am 27. März, Kassel war zur Festung erklärt worden und wurde am 4. April erobert,  Hannover am 10. April,  Weimar am 11. April von amerikanischen Truppen, am 14. April das rechtsrheinische Köln, Nürnberg nach einem viertägigen Kampf  am 20. April, Stuttgart am 21. April von französischen nordafrikanischen Truppen. Seit Ende März 1945 waren die Reste von 19 Divisionen im Ruhrgebiet eingeschlossen worden, der Oberbefehlshaber General Modl beging Fahnenflucht durch Selbstmord, und ab 21. April 1945 wurden 300.000 deutsche Soldaten in die Gefangenschaft in die Rheingauen abgeführt. Bremen wurde am 26. April von britischen Truppen besetzt und Stettin am selben Tag von sowjetischen Truppen. Südlich von Berlin  war bei Halbe die 9. Armee eingeschlossen worden, ein kommandierender SS-Obergruppenführer beging Selbstmord, und am 28. April wurden 120.000 deutsche Soldaten in die sowjetische Kriegsgefangenschaft abgeführt. Es waren vor allem die Geburtsjahrgänge 1924-1926, die in ihrer Verblendung das Hitlerreich als Vaterland wütend verteidigten.

Einige Bischöfe stemmten sich gegen die  verheerenden Folgen des alliierten Blitzsieges,  besonders als die Ostfront das Reichsgebiet längst erreicht hatte und Ängste vor einer „Bolschewisierung des Deutschen Reiches“ auslöste. Bischof Wurm erklärte bei der Konferenz der Dekane am 22. Februar 1945: „Im Vordergrund steht die Frage: Wie ist vom Standpunkt des Gottesglaubens und des Gottesgedankens aus eine so ungeheure Bedrohung des christlichen Abendlandes und seiner Kultur zu verstehen?“ Wurm zog eine Parallele der gegenwärtigen Lage zu Äußerungen Luthers im Bauernkrieg. „In solchem Krieg ist es christlich  und ein Werk der Liebe, die Feinde getrost würgen, rauben und brennen und alles tun, was schädlich ist, bis man sie überwinde.“ Der Glaube an einen Endsieg blieb in diesen Kreisen offenbar bis zur militärischen Niederlage lebendig. Paradoxerweise bedeutete er das Weiterbestehen des Hitlerreiches.  

Landesbischof Marahrens meditierte im Pfarrrundbrief  vom 16. Februar 1945 über das Lied „Wach auf, du Geist der ersten Zeugen.“  „Wer wollte das nicht von Herzen anbeten „Lass eilend Hilf uns widerfahren und brich in Satans Reich mit Macht hinein!“ Was war mit dem Einbruch Gottes in Satans Reich gemeint?  Marahrens blieb im Allgemeinen. Erst der folgende Zusammenhang legte die Frage nahe: War das ein erhoffter Einbruch Gottes in die atheistischen, daher satanischen sowjetischen Truppen, die das christlich-nazistische Deutschland bedrohten? Bestand darin die Erwartung einer „eilenden  Hilfe“? Marahrens griff ferner die Zeile vom Geist der ersten Zeugen auf, „die getrost dem Feind entgegengehen“, und der Bischof erläuterte geheimnisvoll: „Das wissen wir, dass für die Ausrichtung der Botschaft Christi diese Wochen und Monate, in denen wir stehen, vielleicht sehr viel ausmachen werden.“ Wenig später sprach er die Hoffnung aus: „Möchte es dem tapferen und opfervollen Widerstand der Soldaten und dem hingebenden Einsatz der Bevölkerung gelingen, dem gewaltigen Ansturm Halt zu gebieten. Lasst uns der Front und der Heimat täglich  in Treue vor Gott gedenken.“  Es gab bei Marahrens und anderen Bischöfen keine  erkennbare stille Vorfreude über die nahe bevorstehende militärische Niederlage und damit das absehbare Ende der Hitlerherrschaft.

Am 2. Mai kapitulierte nach 14 tägigen sinnlosen Kämpfen  die nationalsozialistisch verseuchte Reichshauptstadt Berlin,  Hamburg wurde einen Tag später kampflos übergeben. Am 7. Mai unterzeichneten in Reims zwei Vertreter von Wehrmacht und Marine, Jodl und Friedeburg, vor General Eisenhower die bedingungslose Kapitulation  und am 8. Mai in Berlin Karlshorst Admiral Friedeburg und der ehemalige Oberbefehlshaber der Wehrmacht, Wilhelm Keitel, der sich nicht schämte, die Sieger beim Betreten des Raumes mit seinem „Marschallstab“ zu begrüßen, vor der sowjetischen Militärführung die Kapitulationsurkunde. Der 49-jährige Friedeburg nahm sich noch im selben Monat das Leben.

Mit der  Niederlage der militärischen Führung war die politische Führung keineswegs beseitigt. Das war 1918 auch so. Die Siegertruppen hätten Deutschland wieder verlassen und Deutschland einer neuen politischen Führung überlassen können. So versuchte der von Hitler ernannte Nachfolger Karl Dönitz auf dem Gelände einer Marineschule in Mürwik, bei Flensburg mit einer großen, mehrere hundert Mann starken Regierungsbeamtentruppe sowie einigen Ministern eine Art Regierung zusammenzuhalten. Die Sieger wünschten jedoch keinen Friedensvertrag mit einem besiegten Deutschland, sondern eine Auflösung des nationalsozialistischen Regierungsapparates und die Zerstückelung des Deutschen Reichsgebietes in vier Besatzungszonen. Das war das Ende des 1871 übermütig in Versailles gegründeten Kaiserreiches. Die Regierung Dönitz wurde am 23. Mai bei Flensburg verhaftet. Ende des Jahres wurde die  Regierungs-und Parteiprominenz  in der „Hauptstadt der Bewegung“, Nürnberg, vor ein internationales Gericht gestellt und ein Jahr später größtenteils zum Tode verurteilt, aufgehängt und die Asche irgendwo verstreut. Die ehemaligen Beamten der Ministerialbürokratie ließen sich gefälschte Pässe und Personalien ausstellen und tauchten wie viele andere in eine der westlichen Besatzungszonen unter.

Deutschland war hitlerfrei. Nicht alle waren glücklich. Auf eine Zeit nach und ohne Hitler  war die Mehrheit der vom Nationalsozialismus vergifteten deutschen Bevölkerung  nicht vorbereitet. Eine Selbstmordwelle  ging durch das Deutsche Reich, teils weil sie als überzeugte Nazis eine persönliche und politische Zukunft ohne Hitler sich nicht vorstellen konnten, teils aus  berechtigter Angst vor der Rache der Sieger; viele Frauen aus Angst vor Vergewaltigungen. Norbert F. Pützl und Klaus Wiegrebe vermuten: „Mindestens Hunderttausend Deutsche brachten sich um.“ Christian Goeschel spricht von einer beispiellosen Selbstmordepidemie im Frühjahr 1945:  53 Heeresgeneräle, 14 Luftwaffengeneräle, 11 Admirale, einige Gauleiter brachten sich um und hinterließen oftmals Frau und Kinder. In Berlin nahmen sich fast 4.ooo Frauen und 3.ooo Männer das Leben, darunter neun evangelische Pfarrer, sodass Pfarrer Jacobi von der Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche gegen diese „Selbstmordepidemie“ anpredigte.

Mit ihren massenhaften Selbstmorden wichen sie einer Antwort auf die Frage aus: Wer hat den Krieg angefangen? Dazu ohne plausiblen Grund, aus nackter Gewinnsucht. Wer war in die Sowjetunion eingefallen? Wer hatte den USA den Krieg erklärt? Wer einen Krieg anfängt und verliert, muss die Folgen tragen.

„Was haben wir damit zu tun“, antwortete die deutsche Bevölkerung auf diese Fragen. Die Hitlerbilder in den Häusern wurden abgehängt, Hitlers „Mein Kampf“ und Propagandabroschüren verbrannt, aus den Fahnen das Hakenkreuz herausgeschnitten und der restliche Stoff weiter  verwendet. Vor allem in den Rathäusern und Parteizentralen rauchten die Schornsteine stundenlang und vernichteten belastendes Aktenmaterial. Nicht so rasch verschwand der Hitlergruß. Im Sommer 1945  forderte eine amerikanische Zeitung  die braunschweigische Bevölkerung auf, den Hitlergruß zu unterlassen.

Die schlichte Einsicht: „Wir haben den Krieg begonnen und sind total besiegt“ und müssten nun die Folgen tragen, wurde noch überdeckt von einer einzigartigen, schandbaren Entdeckung.  



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Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Hitlerbild/, Stand: Dezember 2020, dk