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[Kirche von Unten]

Zum Hitlerbild in der Deutschen Evangelischen Kirche

und

Ein Beitrag zur Kirchlichen Mitte

von Dietrich Kuessner

(Download des Buches einschließlich Anmerkungen als pdf hier)




Die heile Welt auf den Dörfern und ihre geräuschlose Entnazifizierung
Die grauenvollen Bilder der zertrümmerten deutschen Großstädte sowie die Bilder der geöffneten  Konzentrationslager sind jedoch nur eine Hälfe der damaligen Wirklichkeit. Es gab auch Kleinstädte, auf die keine Bomben gefallen waren, die nicht wie das umkämpfte Ruhrgebiet in einem Kriegsgebiet lagen, sondern 1945 überrollt und vielerorts die Siegertruppen mit weißen Fahnen begrüßte wurden. In Niedersachsen gehörten Celle, Lüneburg, Oeynhausen zu diesen unberührten Kleinstädten, in Mittel- und Süddeutschland Marburg, Rothenburg, Erlangen.  Noch unberührter blieben die Dörfer, die diese Städte umgaben.  

Nach dem Einmarsch der alliierten Truppen verließen  die nazi-belasteten Dorf- bzw. Stadtbewohner entweder von selbst ihre Positionen in den kommunalen Strukturen oder wurden erfolgreich umgehend herausgedrängt. Nicht selten übergaben überlebende Antifa-Gruppen den Siegern Listen mit belasteten Bürgern, die dann im Lastwagen abgeholt und in Internierungslager interniert wurden. Die lebenswichtigen Posten in den Gemeinden wurden ausgewechselt und die dringendsten Arbeiten wie Ausgabe von Lebensmittelmarken, Wohnraumbeschaffung, Wasser- und Stromversorgung weiterhin gewährleistet. Es waren diese kleinsten kommunalen Einheiten, die flächendeckend das Weiterleben unter völlig veränderten politischen Bedingungen ermöglichten.

Vergleichsweise ähnlich ging es in den evangelischen Kirchengemeinden zu. In den bombardierten Großstädten waren mit den Kathedralen auch die Kirchengemeinden gründlich zerstört worden. Anders auf den Dörfern. Belastete Kirchenvorstandsmitglieder und kirchliche Mitarbeiter zogen sich aus der aktiven Arbeit von selbst zurück. Die  Pfarrer blieben gefragt: Die Mädchen und Jungen, die sich 1943/44 zum Konfirmandenunterricht angemeldet hatten, bestanden auf ihrer Konfirmationsfeier und wurden nun im Frühjahr teils ungestört-friedlich, teils unter Sirenengeheul und dramatischen Umständen konfirmiert. Die Kasualien (Taufe, Trauung, Bestattung), welche die Kirchengemeinden anboten, erwiesen sich im Laufe des Jahres 1945 für die Kirchenmitglieder als Stabilitätsanker. So wurden im nicht besonders frommen Braunschweig 1945 noch 295 Jugendliche konfirmiert  und über 800 zur Konfirmation 1946 angemeldet. 1944 waren noch 387 Kinder getauft worden, 1945 schon 697 und 1946: 1.735. In der Württembergischen und Bayrischen Landeskirche waren die Ziffern vermutlich viel höher. Sie zeigen an, dass die Kasualien an der Gemeindebasis einen erheblichen Beitrag zur Fortdauer und Stabilisierung der evangelischen Kirche gerade in diesen Krisenzeiten leisteten. Die traditionelle Arbeit in den Kirchengemeinden ging weiter, auch wenn die Lage an der jeweiligen Kirchenspitze noch unbestimmt war.  Das sollte sich in Treysa ändern.  



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Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Hitlerbild/, Stand: Dezember 2020, dk