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[Kirche von Unten]

Zum Hitlerbild in der Deutschen Evangelischen Kirche

und

Ein Beitrag zur Kirchlichen Mitte

von Dietrich Kuessner

(Download des Buches einschließlich Anmerkungen als pdf hier)




Hitler betet öffentlich auf dem Volksfest am 1. Mai 1933.
Hitler veranstaltete für die deutsche Bevölkerung in diesem ersten Halbjahr emotionale Wechselbäder von Angst und Begeisterung. Mitten in den Schrecken des Frühjahrs bestimmte Hitler den 1. Mai zum klassenübergreifenden Feiertag. Das wurde von der Bevölkerung dankbar aufgenommen, denn in der Weimarer Zeit hatte es außer dem dürftig zelebrierten Verfassungstag, dem 11. August, keine großartigen staatlichen Feiertage gegeben. Das wurde nun anders. Schon der Geburtstag Hitlers, der 20. April, wurde reichsweit aufwändig begangen. Am 1. Mai 1933 wurden zum Berliner Tempelhofer Feld die Arbeitermassen aus den Berliner Betrieben abkommandiert, eine Million sollen es gewesen sein, jedenfalls herrschte Volksfeststimmung. Im ganzen Reich wurden solche Feiern organisiert und alle, alle hörten am Abend über den Rundfunk die sehr lange Rede Hitlers. Hitler verfiel am Ende seiner Rede in die Rolle eines christlichen Staatsmannes. Er wandte sich öffentlich pathetisch vor den Zuhörermassen direkt an Gott. „Wir wollen uns den Wiederaufstieg der Nation durch unseren Fleiß, unsre Beharrlichkeit, unseren unerschütterlichen Willen ehrlich verdienen. Wir bitten nicht den Allmächtigen: „Herr mach uns frei!“ Wir wollen tätig sein, arbeiten, uns brüderlich vertragen, gemeinsam ringen, auf dass einmal die Stunde kommt, da wir vor den Herrn hintreten können und ihn bitten dürfen“, und nun fing Hitler tatsächlich vor dieser Masse an zu beten:  „Herr, du siehst, wir haben uns geändert. Das deutsche Volk ist nicht mehr das Volk der Ehrlosigkeit, der Schande, der Selbstzerfleischung, der Kleinmütigkeit und Kleingläubigkeit. Nein, Herr, das deutsche Volk ist wieder stark in seinem Willen, stark in seiner Beharrlichkeit, stark im Ertragen aller Opfer. Herr, wir lassen nicht von dir! Nun segne unseren Kampf um unsere Freiheit und damit unser deutsches Volk und Vaterland!“

Was mag Hitler veranlasst haben, vor den Millionen von Zuhörern in Deutschland in diese betende Diktion zu verfallen? Die hunderttausende Zuhörer in Berlin kamen ganz überwiegend aus einem kirchenfremden, kirchenfeindlichen Milieu. Sie kannten nicht jene Bibelstelle, wo Jakob mit Gott ringt (1. Buch Mose 32, 16) und dabei sagt: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!“ Mit der pathetischen Rhetorik bot sich Hitler den Kirchen als glaubwürdiger Koalitionspartner bei der Bildung eines nationalistisch-christlichen Deutschland an. Später erklärte Hitler öffentlich, dass seine Gebete um die innere deutsche Einheit erhört worden seien.

Das Echo in den Kirchengemeinden war groß. Ein  Beispiel für viele: Am 1. Mai sprach auf einem Helmstedter Sportplatz der 52-jährige Stadtpfarrer Fritz Clemen anlässlich eines Feldgottesdienstes. Er wählte das Thema „Ohne Gott alles umsonst“. „Von dieser Gewissheit ist unser hochverehrter Herr Reichskanzler aufs Tiefste durchdrungen. Wie oft hat er in seinen Reden Zeugnis abgelegt von seinem tiefen Gottvertrauen, vor wenigen Wochen hat er diesen Gedanken ausgesprochen in dem Psalm-Wort: „Wo der Herr nicht das Haus baut, da bauen umsonst, die daran bauen.“ Das ist unsere Freude, dass wir wissen dürfen, an der Spitze unseres Volkes steht ein Mann, der sich gebunden fühlt an den allmächtigen Gott und der mit uns eins ist in der Erkenntnis: Ohne Gott alles umsonst.“

Fritz Clemen war keineswegs ein Nazi der ersten Stunde, vielmehr ein auf Ausgleich bedachter, treuer, bekenntnisfester gewissenhafter Hirte seiner Helmstedter Stephanigemeinde. Hitlers Reden hatten auf ihn diesen sehr großen Eindruck gemacht. Bei ihm prägte sich ein frommes Hitlerbild ein. Dieses fromme Hitlerbild war keine Ausnahme, sondern in der evangelischen Kirche weit verbreitet.


Das fromme Hitlerbild in den Kirchengemeinden.
Folgende Geschichte kursierte  1933/1934 in den  Kirchengemeindeblättern. Eine  Gruppe von Diakonissen aus dem Betheler Diakonissenmutterhaus Sarepta besucht zusammen mit dem bekannten „Posaunengeneral“ Johannes Kuhlo in Berchtesgaden Adolf Hitler. Kuhlo lässt aus seinem Horn deutsche Heimatlieder über die Berge erschallen, Hitler ist entzückt, die Diakonissen werden vorgelassen, und Hitler führt sie in sein Arbeitszimmer. Dort hängen drei Gemälde mit den Porträts vom Luther, Friedrich.Gr. und Bismarck. Hitler erläutert den Diakonissen den Grund. Da fasst sich eine Diakonisse ein Herz und fragt den Reichskanzler, woher er die Kraft für die gewaltigen Reformen nehme. Der Führer zieht aus der Rocktasche ein vergilbtes, kleines Büchlein hervor und erwidert. „Aus dem Neuen Testament.“ Der christliche Staatsmann wird als frommer, bibellesender Führer vorgestellt.  Es ist noch nicht erforscht, aus welcher Quelle diese Kitschgeschichte stammt. Aber sie macht beim Gemeindeblatt lesenden, gutgläubigen Kirchenmitglied Eindruck. Ein Indiz für die Popularität einer Person ist der Kitsch, in diesem Fall der kirchliche Kitsch.

Das Bild des bibellesenden frommen Führers wurde für die evangelische Frauenhilfe vervollständigt durch das des Saubermanns der Nation. Schon im April 1933 hatte die Frauenhilfe die verschärften Erlasse von Hermann Göring als Reichskommissar in Preußen gegen die „öffentliche Unsittlichkeit" lebhaft begrüßt. Der Berliner Polizeipräsident  ergriff Maßnahmen gegen Animierkneipen und Absteigequartiere, gegen Nacktkultur, Prostituierte und homosexuelle Elemente. Sie hoffte auf eine „wirkliche Säuberung des Straßenbildes“ und stellte im November 1933 befriedigt fest: „Der Prozeß der Entschmutzung des Volkslebens ist im vollen Gange. Verschwunden sind die geschickt getarnten Unzuchtinserate einer gewissen Großstadtasphaltpresse. Massageinstitute, die nichts waren als mehr oder weniger elegante Lasterhöhlen, sind geschlossen. Private Leihbüchereien sind von Tausenden schmutziger Bücher gesäubert. Aufgehört hat die mit Sitte und Anstand unvereinbare öffentliche Propaganda für empfängnisverhütende Mittel. Energisch vorgegangen wurde gegen Absteigequartiere bordellartigen Charakters, gegen Animierkneipen und Schankbetriebe, die die widernatürliche Unzucht förderten."

Die bunte öffentliche Vielfalt der Weimarer Zivilgesellschaft wurde rigoros auf die Farbe braun und auf eine enge, rígide, unnatürliche Sexualmoral reduziert. Sie überdauerte die militärische Niederlage 1945 und wurde bis in die 60er Jahre mit einer protestantischen Ethik verwechselt.


Der Kirche gefällt ein frommer Führer als europäischer Friedensstifters.
Die ausländische Presse vermutete von Anfang an kriegerische Absichten Hitlers. Um diesem Bild vom kriegslüsternen Hitler zu entgegnen, hielt Hitler am 26.5.33 eine außenpolitische Rede vor dem Reichstag und schlüpfte in die Rolle des Friedensstifters in Europa, die gut zu der des christlichen Staatsmannes passte. Hitler, der nichts als Aufrüstung im Kopf hatte und einen Austritt aus dem Völkerbund plante, wollte den militanten Eindruck seiner Innenpolitik verschleiern und ein Übergreifen auf die Außenpolitik in jedem Fall verdecken. Er spießte in seiner „Friedensrede“ die Ungereimtheiten des Versailler Vertrages auf, die auch in Frankreich und England diskutiert wurden, er beklagte den ungleichen Rüstungsstand in den europäischen Staaten und forderte Gleichberechtigung. Wegen der „dauernden Diffamierung Deutschlands“ deutete er den Austritt aus dem Völkerbund an. Aber Hitler phantasierte auch schon damals: „Deutschland wäre auch ohne weiteres bereit, seine gesamte militärische Einrichtung überhaupt aufzulösen und den kleinen Rest der ihm verbliebenen Waffen zu zerstören. wenn die anliegenden Nationen ebenso restlos das gleiche tun würden.“ Zur Sitzung waren die Reichstagsabgeordneten von SPD und Zentrum erschienen, die der Rede ohne Diskussion zustimmten. In der deutschen Bevölkerung fand diese lange, außenpolitische Rede sehr große Zustimmung.

In der Kirche war die Zustimmung groß. Der Herausgeber der AELKZ nannte „die große Rede Adolf Hitlers eine Wendung der gesamten außenpolitischen Lage, ein Meisterstück... Es wird nur wenige vergleichbare Situationen in der Geschichte der letzten Jahre geben, in denen allein eine Rede eine so starke Wandlung der Verhältnisse bewirkt hat. Die glückliche Paarung von Würde, Festigkeit und Mäßigung war es, die ganz abgesehen von allen Einzelheiten in der ganzen Welt diesen ungeheuren Eindruck hervorgerufen hat. In vielen Lagern hat sie geradezu als eine sensationelle Überraschung gewirkt...Mit seiner Reichstagsrede hat er bewiesen, dass er gewiss nicht nur die große Trommel zu rühren versteht, sondern dass ihm auch die Verwendung der feineren Instrumente des politischen Orchesters durchaus geläufig ist.“

Anders die Karikatur der ausländischen Presse.

Karikatur Kanonenrohr
Hitler tönt vom Frieden, aber es klingt wie ein Donner aus einem Kanonenrohr, dem allerdings eine Friedenstaube entfliegt. Hitler hatte im Frühjahr 1933, als diese Karikatur in der New Yorker „The Nation“ erschien, tausende Männer zur Hilfspolizei eingesetzt und war mit ihnen militant gegen Kommunisten und Sozialdemokraten vorgegangen. Im Hintergrund brennt schon ein Haus. Deutschland – die zum Appell und Befehlsempfang angetretene Nation.


Das Angebot der Hitlerregierung für die gemeinsame Gestaltung eines nationalsozialistisch-christlichen Deutschland vom 1. Februar und 23. März 1933 erhielt anlässlich des reichsweit gefeierten Lutherjubiläums im November 1933 aparte Züge. Immer wieder wurde Martin Luther mit Adolf Hitler verglichen. Beispielhaft wurde ein Aufsatz des Professors für Kirchengeschichte an der Universität Erlangen, Hans Preuß. Das journalistische Flaggschiff der lutherischen Landeskirchen, die Allgemeine Evangelische Lutherischen Kirchenzeitung (AELKZ), veröffentlichte in zwei Ausgaben einen  Aufsatz von Prof. Hans Preuß unter dem Titel „Luther und Hitler“. Preuß verglich beide miteinander und kam zu folgendem Ergebnis:

Luther und Hitler - beide seien deutsche Führer, beide zur Errettung des Volkes berufen, beiden gehe der Schrei nach einem großen Manne der Rettung voraus, beide seien aus dem Bauernstand, beide treten in den 30iger Jahren ihres Lebens als gänzlich unbekannte Leute auf, beide lieben ihr Vaterland, die Frauen treten für beide aus der Öffentlichkeit zurück in die Häuslichkeit, beide lehnen den Parlamentarismus ab und kämpfen einen Zwei-Frontenkrieg und als leuchtende Schlussparallele  „Luther und Hitler fühlen sich vor ihrem Volke tief mit Gott verbunden". Hitler kenne das Gebet.  „Er denkt auch an den Heiland".

Überflüssig zu schreiben, dass an diesem Vergleich alles schief und unpassend war.  Mit spürbarem krampfartigen Enthusiasmus versuchte Professor Hans Preuß, Hitler die Gesichtszüge von Luther zu verpassen. Mit diesem verdrehten Vergleich sollte Hitler für die lutherische Kirche gewonnen werden.

Das war nicht eine einmalige Entgleisung eines hitlerbegeisterten, protestantischen Theologieprofessors, sondern wuchs sich zu einer Ansteckung aus: Bei der Festversammlung des Martin-Luther-Bundes in Coburg hielt Hans Preuß am 31. 10. 1933 in Anwesenheit des Coburger Herzogpaares, von Kultusminister Schemm und Landesbischof Meiser den Hauptvortrag und „legte die überraschende Ähnlichkeit Luthers mit dem Adolf Hitlers dar   Die Infektion breitete sich aus: Prof. Paul Althaus, ein Kollege von Preuß an der Erlanger theologischen Fakultät, pflichtete in einem Artikel Preuß ausdrücklich bei: „Die Deutschen von 1933  haben recht, ihn (Luther) zu preisen als den mächtigen Erwecker unseres Volkes zu sich selbst, als herrliche Verkörperung deutschen Volkstums – und hier darf man seine und des deutschen Führers Namen wohl zusammenstellen.“  In einem weiteren Aufsatz in der AELKZ kritisiert zwar Prof. Albrecht Oepke, dass der angefochtene und mit der Bibel verwachsene Luther bei Preuß zu kurz komme. Aber er nahm dessen These positiv auf. Luther sei das Urbild des heldischen, arischen Menschen, ein gewaltiger, deutscher Streiter gegen welsches Wesen, Antisemit, „der erste Nationalsozialist sozusagen. Wer ihn von dieser Seite nicht kennt, der kennt ihn in der Tat nicht."



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