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[Kirche von Unten]

Zum Hitlerbild in der Deutschen Evangelischen Kirche

und

Ein Beitrag zur Kirchlichen Mitte

von Dietrich Kuessner

(Download des Buches einschließlich Anmerkungen als pdf hier)




Die Kirche stützt den riskanten außenpolitischen Kurs Hitlers.
Die „Volksabstimmung“ am 12. November 1933.
Die Zusammenarbeit Hitlers mit der evangelischen Kirche nahm Ende des Jahres 1933 sichtbare Gestalt an. Die evangelische Kirche unterstützte geschlossen den außenpolitischen Kurs Hitlers. Damit erwiderte sie das Angebot Hitlers zur Zusammenarbeit vom März 1933. Das Hitlerbild der Kirche zeigte Züge eines bedingungslosen Gefolgsmannes.  
Hitler hatte die Genfer Abrüstungskonferenz sowie den Völkerbund verlassen, um ohne internationale Einschränkungen die Aufrüstung im Deutschen Reich beschleunigen zu können. Er verschwieg diesen Sachverhalt, indem er die Gleichberechtigung Deutschlands unter den Völkern forderte. Diese war teilweise bereits Wirklichkeit geworden, als das Deutsche Reich wieder in den Völkerbund aufgenommen war. Außerdem hatten England, Frankreich und Italien  am 11. Dezember 1932 feierlich erklärt, „dass Deutschland die Gleichberechtigung in einem System  der Sicherheit für alle Nationen gewährt wird.“

Das bedeutete die militärische Gleichberechtigung des Deutschen Reiches und die Streichung der Reparationen. Aber das Medienecho war äußerst gering.

Hitler verstand unter „Gleichberechtigung“, dass  er genauso zügig aufrüsten konnte wie England und Frankreich. Hitler löste den Reichstag auf, denn in ihm befanden sich noch Mitglieder der SPD und des Zentrum. Die deutsche Bevölkerung sollte nicht  bloß zum Verlassen des Völkerbundes, sondern ein Votum zu seiner bisherigen Politik abgeben und folgende Frage mit Ja oder Nein beantworten. „Billigst Du, deutscher Mann und Du, deutsche Frau, diese Politik Deiner Reichsregierung, und bist Du bereit, sie als den Ausdruck Deiner eigenen Auffassung und Deines eigenen Willens zu erklären und Dich feierlich zu ihr zu bekennen?“  

Die Frage zielte nicht präzise auf den Völkerbundaustritt, sondern war umfassender auf die ganze bisherige Politik Hitlers erweitert. Deutschland hatte sich in diesem Jahr bereits grundlegend verändert. Die Grundstimmung war durch die Terrorakte verängstigter, die Vielfalt der allgegenwärtigen braunen „Gleichschaltung“ gewichen.  Zahlreiche Intellektuelle und Wissenschaftler hatten das Land verlassen, denen die Nazis hinterher höhnten.

Mit der Abstimmung war außerdem eine deutliche Absage an eine Wiederkehr der Demokratie verbunden. Der Herausgeber der AELKZ schrieb von den „hohlen Reden der Häupter des marxistisch-demokratischen Deutschland... Es sind andere Zeiten gekommen, die, getragen von tiefstem Verantwortungsgefühl für Deutschland, die hohle Phrase der Demokratie verachten, denen die Ehre des deutschen Namens über alles geht, und die darum etwas wagen. Dafür wollen wir ein freudiges Ja sprechen, am 12. November, dem Tag der Entscheidung.“ Hitler startete eine Wahlkampagne durch die Städte Berlin, Hannover, Köln, Stuttgart, Frankfurt, Essen, Breslau, Elbing, Kiel, Berlin. Das Motto der Kampagne lautete: „Mit Hitler für einen Frieden der Ehre und Gleichberechtigung“ und „Hitlers Kampf ist der Kampf um den wirklichen Frieden in der Welt“.

Karikatur Hitlers Pferderennen
Die Abstimmung am 12. November 1933 ergab eine sehr hohe Zustimmung für die Politik Hitlers und den Austritt aus dem Völkerbund.
Kein Kunststück, kritisiert die „The Daily Express“ am 13. November 1933. Es gab ja keine Alternative. Einziger Reiter im Rennen war Hitler. Der Gaul trägt Stahlhelm. Die deutsche Bevölkerung wird vom Ausland aus als massenhafte Heil Hitler Brüller wahrgenommen.


Der Austritt aus dem Völkerbund und aus der Abrüstungskonferenz war ein politischer Akt, der keiner kirchlichen Aktivität bedurfte. Auch die Volksabstimmung war eigentlich kein Anlass zu besonderer Äußerung. Aber die evangelische Kirche präsentierte sich in den Wochen vor der Abstimmung als idealer Koalitionspartner. Die deutsch-christlichen Kirchenleitungen riefen zur Stimmabgabe auf. Reichsbischof Müller, der Vertrauensmann Adolf Hitlers, erklärte: „Es ist für uns Dank und Gehorsam gegen Gott, wenn wir mit unserer Regierung fest und unverbrüchlich zusammenstehen im Kampf für unseres Volkes Ehre und Freiheit. Ich fordere daher alle evangelischen Kirchen und Gemeinden auf, sich der gewaltigen sozialen Aufgabe, die uns obliegt, bewusst zu werden  und bei Gelegenheit, auch in Gottesdiensten und kirchlichen Feiern, die Gemeindeglieder zur Erfüllung ihrer vaterländischen Pflicht am 12. November zu rüsten und zu festigen.“

Das bereits mit einem ineinander verschränkten Hakenkreuz und Christuskreuz verzierte Kirchliche Gesetz- und Verordnungsblatt der sächsischen Landeskirche veröffentlichte eine Kundgebung des unter deutsch-christlicher Leitung stehenden Bischofs Coch, in der er seine Pfarrerschaft auf ein „klares und unmissverständliches Ja zum Führer des Reiches und zur Außenpolitik seiner Reichsregierung“ einschwor. „Die Kirchenregierung erwartet, dass alle Kirchengemeinden des Landes sich bis zum 12. November ganz und gar in den Dienst  der Sache des deutschen Volkes stellen, die ebenso sehr eine Sache unserer Kirche ist.“ „Die evangelisch-lutherische Kirche Sachsens mit ihren 4½ Millionen Lutheranern sagt schon heute ihr klares und unmissverständliches Ja.“

Landesbischof Reichardt erließ an die evangelischen Gemeinden Thüringens folgenden Aufruf, in dem es u.a. hieß: „Wie Adolf Hitler allein durch den Glauben an die Macht der ewigen Kräfte und durch die opferbereite Gefolgschaftstreue seiner Anhänger Deutschland vor dem Untergang in Bürgerkrieg und Chaos gerettet habe, so wage er es heute, im Glauben an das göttliche Recht zum Kampf für den Frieden und die Versöhnung der Völker aufzurufen. Schuldige Dankespflicht gegen Gott und Adolf Hitler treibt uns, uns feierlich und einmütig hinter den Mann zu stellen, der unserem Volk und der Welt gesandt ist, die Macht der Finsternis zu überwinden! Wir rufen darum unsere Gemeinden auf, gleichen Sinnes mit uns sich als ein einig Volk von Brüdern hinter den Führer zu stellen...“

Es ging also für den Thüringer Landesbischof gar nicht um ein Ja oder Nein zu einem politischen Sachverhalt, sondern um die Pflicht zur Gefolgschaftstreue. Man solle, statt eine Stellungnahme zum Austritt aus dem Völkerbund zu bedenken, sich „hinter Adolf Hitler stellen“.  

Das war keine deutsch-christliche Marotte, sondern wurde auch von Landeskirchen propagiert, die sich ausdrücklich von den Deutschen Christen distanziert hatten. Das Evangelische Gemeindeblatt für Stuttgart warb für „ein großes Ja“, das heute die geschichtliche Stunde fordert. Sie (die Kirche) solle ihren Gliedern Freudigkeit geben, sich einzusetzen in dem großen Kampf unseres Volkes um Ehre und Freiheit. „Ein großes Ja ist gefordert.“ Das Stuttgarter Gemeindeblatt verblieb in der Hitlerschen Phraseologie ohne einen selbständigen Gedanken zum Vorgang.

Auffällig war der eindringliche Ton in der Kanzelabkündigung des Hannoverschen Landesbischofs Marahrens. Es war eine sehr ausführliche Kundgebung des Landesbischofs an seine hannoverschen Pfarrer. Es gehe um Wahrheit und Frieden in der Welt, um die Würde und Ehre unserer Nation, um die Gefolgschaftstreue gegen unseren Volkskanzler Adolf Hitler.“ Vierfach begründete Marahrens im Folgenden ein Ja bei der Volksabstimmung. Es bezeuge den Willen zu einem Frieden, es sei ein Zeugnis echter brüderlicher Gesinnung,  und ein Tatbeweis des Dankes an den Führer wie ein Tatbeweis  der Treue und der Gefolgschaft, „die wir auch gerade als lutherische Kirche wiederholt gefordert und gelobt haben“ und ein „Bekenntnis eines Glaubens, der Leben und Geschichte unseres deutschen Volkes nicht auf Menschenkraft und Waffenrüstung baut, sondern auf Gottes Gnade und Sein gerechtes Walten... Als betende Christen wollen wir am 12. November zur Abstimmung gehen.“ Diese Kundgebung war nicht allein für die predigenden Amtsbrüder gedacht, sondern sollte am Wahlsonntag im Hauptgottesdienst von allen Kanzeln verlesen werden. Die bischöfliche Kundgebung sollte also die Gottesdienstbesucher und möglichst alle Kirchenmitglieder der Hannoverschen Landeskirche erreichen.  

Der Bischof stellte den schicksalhaften Charakter des außenpolitischen Schrittes der Reichsregierung heraus und übernahm vollständig die Nazibegründung: Der Austritt aus dem Völkerbund sei ein „sittlicher Protest gegen Gewalt, Lüge und Unrecht“, und er verstehe ihn als Eintreten  für einen Frieden, der schweren  Gewissensnot ein Ende mache „und unser Volk frei und gleichberechtigt mit seinen Gütern und Gaben am Leben der Völker teilnehmen lässt.“

Aber das Gegenteil war auch bei schlichter tagespolitischer Betrachtung richtig: das Deutsche Reich isolierte sich von der Völkergemeinschaft und schürte das Misstrauen der Nachbarvölker, insbesondere Frankreichs, gegenüber einem militanten Sonderweg Deutschlands. Marahrens war blind für das allmähliche, schrittweise Hineinwachsen des Deutschen Reiches in die Völkergemeinschaft durch die besonnene Außenpolitik Stresemanns. Der Austritt vermehrte die Unsicherheit  der Nachbarvölker und die Furcht vor der Unberechenbarkeit. Der Bischof kombinierte die in der Kirche geläufige Redeweise von der Nachfolge eines Christen mit einer Gefolgschaft hinter dem „Führer“, die der Bischof mit dem Begriff der „Treue!“ verband. Die Kundgebung ließ den Hannoverschen Christen keine Wahl, ein „Nein“ anzukreuzen, das ja ausdrücklich möglich war, oder Wahlabstinenz zu üben. Ein Nein konnte der bischöflichen Kundgebung zu Folge als Zeichen mangelnder brüderlicher Gesinnung, des Undankes dem „Führer“ gegenüber der Friedensunwilligkeit, geradezu ein Bekenntnis mangelnden Glaubens sein. Den Tag der Abstimmung begleiteten die Landeskirchen mit Fahnenhissen und Glockengeläut, und zwar „zum Zeichen, dass die Kirche an dem Kampf des Führers teilnimmt.“

Sogar der Pfarrernotbund schickte an Hitler zum Austritt aus dem Völkerbund folgendes Danktelegramm: „In dieser für Volk und Vaterland entscheidenden Stunde grüßen wir unseren Führer. Wir danken für die mannhafte Tat und das klare Wort, die Deutschlands Ehre wahren. Im Namen von mehr als 2.500 evangelischen Pfarrern, die der Glaubensbewegung DC nicht angehören, geloben wir treue Gefolgschaft und fürbittendes Gedenken.“

Hinsichtlich ihres Hitlerbildes war sich die evangelische Kirche auch über größte kirchenpolitische wie theologische Gegensätze hinweg  einig.

Mit ihren weitgesteckten ökumenischen Erfahrungen hätten die Kirchen wohl die Folgen des Völkerbundaustrittes gerade im Hinblick auf die ausländischen Nachbarländer beschreiben können.

Der Kirchenhistoriker Scholder fasste den Vorgang zusammen: „Der 12. November brachte noch einmal einen Höhepunkt der protestantischen Illusionen. Und der triumphale Wahlsieg Hitlers schien sie erneut und ausdrücklich zu bestätigen. In Wahrheit hatte ihr Ende längst begonnen.“



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Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Hitlerbild/, Stand: Dezember 2020, dk