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Die Hand - mehr als das ideale Werkzeug
Die Hand ist der sichtbare Teil des Gehirns
Körpergestalt und Sprache
Das Begreifen begreifen

Eberhard Fincke, Braunschweig

Die Hand ist der sichtbare Teil des Gehirns

Dieser Satz, dem Philosophen Immanuel Kant zugeschrieben, wird von den Gehirnforschern bisher wenig beachtet. Sie schauen nur auf das Gehirn. Obwohl die moderne Gehirnforschung ihre biotechnischen Methoden laufend verfeinert, um in die genetischen und molekularen Strukturen des Gehirns immer weiter vorzudringen, ist sie weit davon entfernt zu verstehen, was es mit dem Denken des Menschen auf sich hat. Die Konzentration auf das Gehirn ist schon deshalb problematisch, weil das Gehirn zusammen mit den anderen Organen Teil des Organismus ist. Ein Organismus unterscheidet sich grundlegend von einem System. Wie das Wort „System“ schon sagt, ist es aus mehreren Einheiten „zusammengesetzt“, die man folglich auch wieder voneinander trennen kann, um sie für sich zu untersuchen.

Jeder Organismus ist dagegen in der Evolution wie auch in der Entstehung des einzelnen Lebewesens im Austausch der Organe von Anfang an zu einer komplexen Einheit gewachsen. Voneinander getrennt können die Organe nur teilweise verständlich sein. Ihr gewachsener Zusammenhang ist bei den Lebewesen, auch beim Menschen, nicht einmal auf den Körper begrenzt. Gerade bei der Ausbildung und dem Wachstum des menschlichen Gehirns haben die Beziehungen zu den Mitmenschen so großen Einfluss, dass es berechtigt ist, das Gehirn ein „soziales Organ“ zu nennen.

Unter allen Organen steht nun die Hand in ganz besonders enger Beziehung zum Gehirn. Schon der griechische Philosoph Anaxagoras (5. Jhdt. v. Chr.) meinte, der Mensch sei intelligent, weil er eine Hand hat. Und heute noch machen dies viele Sprachen wie auch das Deutsche deutlich mit solchen Verben wie „begreifen“ und „erfassen“. Was man gewöhnlich dem Gehirn zuschreibt, weisen sie als Tätigkeit der Hand aus. Auch viele wissenschaftliche Darstellungen zeigen, wie eng entwicklungsgeschichtlich Gehirn und Hand aufeinander bezogen sind. Dennoch hat man bisher von dieser innigen Beziehung keinen Gebrauch gemacht, um das Gehirn besser zu verstehen. Man konnte in der einfach erscheinenden Struktur der fünf Finger nichts Weiterführendes oder Aufschlussgebendes sehen. Auch herrscht jene Vorstellung vor, nach der das Gehirn die alles entscheidende Schaltzentrale des Körpers ist, so etwas wie ein ungeheuer leistungsfähiger Computer und Datenspeicher.

Die moderne Gehirnforschung könnte man deswegen mit einem Menschen vergleichen, dem Computer völlig unbekannt sind, und der nun durch die Zerlegung eines Computers herausfinden will, was es damit auf sich hat und wie er funktioniert. Er hätte große Schwierigkeiten, da ihm ein wichtiger Teil fehlt, die sogenannte Software. Ohne sie, ohne ein Ordnungsprinzip, machen die verwirrend vielen Teile und Verbindungen keinen Sinn, kann man das Ganze nicht verstehen.

Beim Gehirn ist so etwas wie eine Software nicht vorgegeben. Wird man, auf das Gehirn konzentriert, dort im Dickicht der Zellen und Synapsen jemals auf so etwas wie Sinn oder Geist stoßen, woran das Denken sich orientiert? Ist dort ein Ordnungsprinzip erkennbar, mit dem zu verstehen ist, was im Gehirn eigentlich vorgeht? Zudem folgt die Wissenschaft immer noch der im Abendland grundlegenden Trennung von Körper und Geist. Untersucht sie einen Körperteil oder ein Organ, so erwartet sie gar nicht, dort auf einen Sinn oder Geist zu stoßen. Hat sie dann aber überhaupt Aussicht, das Gehirn irgendwann zu verstehen?

Möglicherweise hilft es doch weiter, wenn man, um das Gehirn zu verstehen, auch auf den Zusammenhang schaut, in dem es arbeitet, also auf die mit ihm verbundenen Organe und an erster Stelle auf die Hand, mit der es „begreift“. Es fällt nämlich auf, dass die fünf Finger, bzw. der Daumen mit den ihm entgegenstehenden vier Fingern eine eigenartige bewegliche, dennoch überschaubare Einheit bilden.
In ihrem beweglichen Zusammenspiel gibt es eine Ordnung, mit deren Hilfe vielleicht auch verständlicher werden kann, was im Gehirn vorgeht. Diese Ordnung ist auf verschiedenen Wegen für jeden Menschen leicht erkennbar, was im Folgenden kurz skizziert werden soll.

  1. Jeder der fünf Finger unterscheidet sich von den anderen durch die Art, wie er geformt ist und wozu wir ihn einsetzen. Das schlägt sich in ihren Namen nieder:

    Der Dicke, Starke,
    der Zeiger,
    der Mittlere,
    der Goldene, Ringträger,
    der Kleine, Schwache.

    In diesen Namen meldet sich bei jedem Finger eins der fünf Grundmotive, die den Menschen in Bewegung bringen:

    Der Dicke - Streben nach Freiheit, Macht, Unabhängigkeit;
    der Zeiger - nach Wahrheit, Orientierung, Wissen;
    der Mittlere - nach Gerechtigkeit, Ausgleich, Balance;
    der Goldene - nach Liebe, Solidarität, Gemeinschaft;
    der Kleine - nach Sicherung des Lebens, Gesundheit,Schutz.

  2. Betrachtet man diese fünf Bewegkräfte genauer in ihrem Verhältnis zueinander, so ergibt sich alsbald eine eigenartige, faszinierende Ordnung. Die Wünsche nach Freiheit - Wahrheit - Gerechtigkeit - Liebe - Leben stehen einander vielfach im Wege. Aus Erfahrung weiss man, wie das Bedürfnis nach Sicherheit daran hindert, Freiheit zu wagen. Nimmt einer sich Freiheiten heraus, geht das schnell auf Kosten anderer, also gegen die Gerechtigkeit. Der Wunsch, geliebt und in der Gemeinschaft aufgenommen zu werden, hält einen davon ab, sich unabhängig zu machen oder offen die Wahrheit zu sagen. Ist das Leben in Gefahr, muss Gerechtigkeit und auch die Wahrheit zurückstehen.
    Dennoch, die Wahrnehmung von Gefahr ist für die Sicherung des Lebens notwendig. Und ohne Wahrheit und Freiheit kann Liebe nicht sein. Gerechtigkeit und Freiheit bedingen einander. Also kommen die fünf Bestrebungen nur gemeinsam zum Ziel, wobei sie einander doch zugleich widerstreben. Wie dieses widerspruchsvolle Miteinander genau aussieht, das lässt sich an der Anordnung der fünf Finger in der Hand bis in alle Feinheiten hinein studieren.

  3. Auch sog. Fingerreime folgen dieser Ordnung. Alten Kulturen waren sie geläufig. Indem man an den fünf Fingern entlangging, formulierte man Regeln, Leitsätze und Gebete unter den fünf Gesichtspunkten Freiheit, Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Leben und hatte damit alles Wesentliche „erfasst“. (Ausführlich in E. Fincke, Die Wiederentdeckung der sozialen Intelligenz, Stuttgart 1997.)

  4. Nicht nur in den fünf Fingern tritt diese bewegliche Ordnung am menschlichen Körper zutage. Mit Hilfe einfacher Atemübungen kann jeder Mensch leicht bei sich selbst nachspüren, wie die fünf Finger in der Reihenfolge vom Daumen bis zum kleinen Finger mit den fünf Vokalen i-e-a-o-u und gleichzeitig mit bestimmten Leibzonen in Beziehung stehen. Die Atemtherapeutin Ilse Middendorf hat das in ihrem Buch „Der erfahrbare Atem“, Paderborn 1995, aufgezeigt.

Dass sich in einer Körpergestalt ein geistiger Zusammenhang wiederfinden sollte, widerspricht nun freilich der bisher in der westlichen Welt selbstverständlichen Trennung von Körper und Geist. Auf der anderen Seite ist der oben geschilderte Befund für Jeden leicht nachvollziehbar. Die Hand verdient also bei der Gehirnforschung sehr viel Aufmerksamkeit. Sie scheint eine Ahnung davon zu geben, wie der Mensch denkt und sich in dem unüberschaubaren Dickicht der widersprüchlichen Wünsche zurechtzufindet, diese leicht „handhaben“ kann, ohne viel Überlegung.

Literaturhinweis:

Heilgard Stieber, Eberhard Fincke, Christine Gholipour-Ghalandari:
Fingerreime, Hildesheim 2001.

nach oben zeigende Hand
http://bs.cyty.com/fingerreim/de/anthropologie/gehirn/index.shtml, Stand: 11. October 2012, jk