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Die Hand - mehr als das ideale Werkzeug
Die Hand ist der sichtbare Teil des Gehirns
Körpergestalt und Sprache
Das Begreifen begreifen

Die Hand - mehr als das ideale Werkzeug

Es ist eigenartig. Die Hand macht den Menschen und ohne fünf Finger wäre er hilflos. Und doch scheut er sich, die eigene Hand genau anzuschauen. Diese Scheu mag viele Gründe haben, vielleicht auch den, daß es im christlichen Abendland schon lange verpönt war, die Hand zu betrachten, um aus ihr etwas herauszulesen. Andererseits haben vor allem Mediziner und Anthropologen immer wieder fasziniert dargestellt, wie die Hand Aufschluß gibt über den Menschen, seine Entwicklung, seine Intelligenz und sein Wesen. In letzter Zeit sind dazu wieder mehrere Bücher erschienen.

Schon der Titel „Die Hand - Werkzeug des Geistes“, herausgegeben von Marco Wehr und Martin Weinmann, stellt die Hand, wie schon Aristoteles formuliert hat, „als Werkzeug aller Werkzeuge“ heraus. Aber nicht die landläufige Vorstellung ist gemeint, derzufolge das Gehirn Sitz des Geistes sei und die Hand der Befehlsempfänger, der die Anweisungen ausführt. Vielmehr, so zeigen mehrere Neurologen und Mediziner anderer Fachgebiete in diesem Buch, spielt sich zwischen Gehirn und Hand eine überaus komplexe, jeden Computer überbietende Wechselbeziehung ab. Auch für die Ausbildung von Gehirn und Hand in der Evolution muß diese Wechselbeziehung angenommen werden. Sie haben sich gewissermaßen gegenseitig vorangetrieben, nachdem der Urahn des Menschen sich auf die Hinterbeine gestellt und so die vorderen Gliedmaßen freibekommen hatte.

Diese Entwicklung wird besonders anschaulich durch den Vergleich des Daumens mit dem der Affen und Menschenaffen. Durch den Daumen leistet die Menschenhand Erstaunliches, ja Einzigartiges, sei es beim Spielen eines Musikinstrumentes, beim Werdegang des Kindes vom Greifen zum „Begreifen“, in der Kommunikation der Blinden und Gehörlosen und anderes mehr.

Was in dem genannten Buch eine ganze Reihe deutscher Autoren unterschiedlicher Fachrichtungen beschreiben, das führt auf ähnliche Weise ein einzelner Autor, der amerikanische Neurologe Frank R. Wilson in seinem Buch vor: „Die Hand - Geniestreich der Evolution. Ihr Einfluß auf Gehirn, Sprache und Kultur des Menschen“. Auch bei ihm spielt die Hand des Musikers eine große Rolle, die des Puppenspielers, der Blinden und der Schlaganfallpatienten. Natürlich beschreibt auch er ausführlich den Daumen als hervorragenden Zeugen der Evolution. Dadurch, daß es dem Daumen gelungen ist, sich allen anderen vier Fingern auf das Beweglichste entgegenzustellen, ist die Hand zu dem geworden, was wir vor Augen haben, ein Wunder an Kooperation zwischen den fünf Fingern.

Ist es schon ungeheuer kompliziert, die Bewegungsabläufe bei der Bewegung eines einzelnen Fingers exakt darzustellen, so scheint es verständlich, daß über das Zusammenspiel aller fünf Finger in beiden genannten Büchern wenig zu finden ist. Vom Daumen abgesehen erfahren die anderen Finger, die doch jeder eine ganz eigene Gestalt und Funktion haben, überhaupt wenig Aufmerksamkeit. Das liegt an der naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise, die versuchen muß, verwirrend unübersichtliche Erscheinungen in einzelne Zusammenhänge aufzugliedern. In diesem Fall nimmt sie zunächst einmal in den Blick, wie die Hand bzw. ein Finger auf das Gehirn bezogen ist und umgekehrt. Beide Bücher stellen dabei heraus, wie stark das Gehirn durch das Zusammenspiel mit der Hand geprägt und die Hand ihrerseits zu dem idealen Werkzeug geworden ist. Menschliche Intelligenz, d.h. auch die Größe des Gehirns, scheint also wesentlich durch den Werkzeuggebrauch gewachsen zu sein. Jedoch das stimmt so nicht.

In der anthropologischen Forschung stimmt man darin überein, daß der Mensch sein großes Gehirn in erster Linie nicht dem Hantieren mit Werkzeugen und dem Rechnen verdankt, sondern den Anforderungen des Zusammenlebens in der Gruppe. Schon bei den Affen ist dieses Zusammenleben so anspruchsvoll, daß sie ihr Gehirn entsprechend entwickelt haben. Diese klugen Tiere sind für das Überleben darauf angewiesen, daß sie bei allen Konflikten und Interessenwidersprüchen immer wieder zu Frieden und Kooperation zurückfinden. Diese schon bei den Affen nachweisbare soziale Intelligenz, die Fähigkeit zur Kooperation, war mithin vorgegeben, als der Vorfahre des Menschen daran ging, sein Gehirn durch das Hantieren mit Werkzeugen weiter auszubilden.

Die Intelligenz des Menschen ist also zu allererst soziale Intelligenz. Man kann sogar fragen, ob die darauf aufbauende Werkzeugintelligenz überhaupt als Steigerung zu sehen ist, da der Mensch sich durch den Einsatz von Werkzeugen doch unabhängiger macht, sich von der Notwendigkeit zur Kooperation befreit.

Ist nun die Werkzeugintelligenz gewissermaßen auf der sozialen Intelligenz gewachsen, dann gilt das nicht nur für das Gehirn, sondern auch für die Hand. Ihre Grundform hat die Ausbildung zum „Werkzeug aller Werkzeuge“ ermöglicht, doch die Grundform selbst gehört schon zur sozialen Intelligenz, eben als Fähigkeit zur Kooperation. Und in der Tat, diese Grundform macht das Zusammenspiel der fünf Finger aus. Über dieses zunächst verwirrend komplizierte Zusammenspiel läßt sich Genaueres ausmachen, sobald man die Gestalt und die Funktion der einzelnen Finger genau bestimmt und sie dann zueinander in Beziehung setzt. Dadurch kommt in den Blick, wie die fünf Finger eine einzigartige Einheit von fünf untereinander gegensätzlichen Aspekten bilden. Diese Fünf sind identisch mit den fünf Grundbedürfnissen, die für jeden Menschen - im Grunde für jedes Lebewesen -, erfüllt sein müssen, damit es sozialen Frieden gibt. Die fünf Grundbedürfnisse lassen sich - beim Daumen angefangen - mit den fünf Begriffen umschreiben: Freiheit, Wahrnehmung, Gerechtigkeit, Liebe und Lebenserhalt.

Das alles wird in einem dritten Buch über die Hand im einzelnen beschrieben: „Die Wiederentdeckung der sozialen Intelligenz“ vom Vf. Die Einsicht, daß die Finger in der Hand eine hochkomplexe und doch wieder einfache Systematik erkennen lassen, führt in mehrere Richtungen weiter.
Die Fähigkeit des Menschen zum Frieden wird durchsichtiger. Daraus lassen sich praktische Hilfen für den persönlichen Bereich ebenso entwickeln wie für die Verständigung zwischen Staaten, Religionen und Kulturen.

Die Erkenntnis über das Fingerspiel ist nicht so neu, wie man denkt. In dem Buch wird gezeigt, wie es alte, schriftlose Kulturen schon verstanden haben, sich an dem Zusammenspiel der fünf Finger zu orientieren. Man faßte das Wesentliche in Fingerreimen zusammen und formulierte so im direkten Sinne die „Quintessenz“. Auf diese Weise ist heute neue Sicherheit für die Interpretation alter Überlieferungen gegeben, die auf dem Fingerspiel aufbauen.

Schließlich eröffnet die Kenntnis von der bewegten Systematik in der Hand neue Zugänge zur Verbindung von Gehirn und Hand, um das Wesen des Denkens und der Sprache zu verstehen.

Marco Wehr/Martin Weinmann (Hrsg),
Die Hand - Werkzeug des Geistes,
Spektrum, Akademischer Verlag, Heidelberg/Berlin 1999
407 S., ISBN 3-8274-0292-1

Frank R. Wilson,
Die Hand - Geniestreich der Evolution.
Ihr Einfluß auf Gehirn, Sprache und Kultur des Menschen,
Verlag Klett/Cotta, Stuttgart 2000,
415 S., ISBN 3-608-94189-4

Eberhard Fincke,
Die Wiederentdeckung der sozialen Intelligenz
Balance der Interessen in einer zukunftsfähigen Gesellschaft,
Radius Verlag, Stuttgart 1997,
240 S., ISBN 3-87173-136-6

nach oben zeigende Hand
http://bs.cyty.com/fingerreim/de/anthropologie/werkzeug/index.shtml, Stand: 11. October 2012, jk