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Big Five und fünf kleine FingerDie Hand als Schlüssel zum MenschenEberhard Fincke, Braunschweig Zusammenfassung:Die fünf Finger des Menschen bilden mit ihrer Gestalt und Funktion ein einzigartiges System, darstellbar im Pentagramm. Daraus kann man eine Art Faustregel ableiten für die Praxis in Meditation, psychologischer Beratung und Therapie. In frühen Kulturen bereits bekannt und angewandt ist dieser anthropologisch bedeutsame Sachverhalt später vergessen worden. Ohne davon zu wissen, haben jüngere Versuche, menschliches Verhalten zu typisieren, zu einer ganz übereinstimmenden Fünferstruktur geführt. Eine völlig neue Einsicht in das Verhältnis von Körper und Geist wird vorgestellt. Schlüsselworte: Fünf Charaktertypen, Grundbedürfnisse, Finger, Pentagramm, Leiborientierung, Motivation. Damit sie sich selbst und die Mitmenschen leichter verstehen können, haben Psychologen und Pädagogen immer wieder versucht, eine Ordnung in der verwirrenden Vielfalt menschlichen Verhaltens zu entdecken. Dabei ist man auffällig oft auf die Fünf gestoßen. Die vielen verschiedenen Charakterzüge, Verhaltensweisen, oder Motivationen scheint man tatsächlich zurückzuführen zu können auf fünf Grundtypen. Der jüngste Versuch, diese Struktur im menschlichen Verhalten zu erkennen, ist das Modell der sog. „Big Five“. Es wurde in den letzten vierzig Jahren im Bereich der Persönlichkeitspsychologie erarbeitet, vor allem in den USA. Den Forschern fiel auf, daß fünf Charaktereigenschaften bevorzugt werden, wenn Menschen im psychologischen Test oder bei der militärischen Musterung andere oder auch sich selbst beschreiben sollen. Versuchspersonen wählten aus langen Listen von Eigenschaftswörtern, die menschliches Verhalten kennzeichnen, immer wieder besonders fünf Typisierungen aus, um das Wesentliche zu benennen. Die Psychologen Robert R. McCrae und Paul T. Costa haben zuletzt 1990 die Ergebnisse zusammengefaßt und vorgestellt. Die „großen Fünf“, auf die es hinauslief, nennen sie (in Klammern die gebräuchliche deutsche Übersetzung):
Jede dieser fünf Charakterisierungen steht für ein ganzes Spektrum von
einzelnen Eigenschaften. Keine ist moralisch bewertend zu verstehen.
Mit Neurotizismus sind Menschen gemeint, die stark von ihren
Gefühlen abhängig sind, seien es Angst, Aggression, Anerkennungsbedürfnis,
Hilfsbereitschaft usw.
Auch in der Extroversion spielen die Gefühle eine große
Rolle. Diese Personen sind jedoch mehr in Übereinstimmung mit ihren
Gefühlen, deswegen können sie Ihnen vertrauen und damit nach außen gehen.
Das kann ihnen Sympathie verschaffen.
Die Verträglichen gewinnen dagegen Sympathie mehr durch
Entgegenkommen. Eigene Interessen stellen sie eher zurück und sorgen für
friedliches Auskommen und Wohlbefinden. sie passen sich leicht an.
Das ist anders bei der Gewissenhaftigkeit. Hier ist ein
Mensch genau und diszipliniert, legt Wert auf Ordnung und Rechtmäßigkeit,
kann aber dadurch auch rigide und rechthaberisch sein.
Menschen, die offen für Neues sind, lösen sich leichter
vom Herkömmlichen, sind neugierig auf Ideen und gehen gern voran. Sie werden
dadurch leicht zu Anführern, zur dominierenden Figur oder auch zu
Außenseitern.
McCrae und Costa haben viel Zustimmung erfahren, dass diese fünf Charaktäre die Bandbreite menschlicher Eigenschaften ziemlich vollständig erfassen. Leiden hilft zum VerstehenAus einer ganz anderen Richtung is der Philosoph Viktor Weizsäcker 1950 auf sein Modell der „pathischen Kategorien“ gekommen. Als Arzt setzte er bei der Pathie an, beim Leiden. Der Mensch leidet, weil er an Grenzen stößt, die er entweder nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen überwinden kann. Die fünf sogenannten modalen Hilfverben müssen-dürfen-können-sollen-wollen erlauben es im Deutschen, die vielen Varianten zum Ausdruck zu bringen, in denen Begrenztheit erlebt bzw. erlitten wird. Sie alle können auf diese Fünf reduziert, auf weniger jedoch nicht, ohne daß ein entscheidender Aspekt verloren geht. So oft der Mensch etwas muß, ist jene Grenze absolut, weil es um sein Leben geht. Wenn er darf, hat das mit der Abhängigkeit von anderen zu tun, denen er verbunden ist. Deren Geneigtheit zeigt sich in der Erlaubnis. Das Können umschreibt das eigene Vemögen bzw. Leistungsfähigkeit. Ein Mensch freut sich daran, aber erfährt so auch seine Grenzen. Wenn er soll, sieht er sich deutlich hingewiesen auf Möglichkeiten und Gefahren. Doch muß er diesen Hinweisen nicht folgen. Es bleibt seine Entscheidung. Wollen schließlich kann man alles. Es gibt da keine Grenzen; aber ohne Sollen, das Können, das Dürfen und Müssen ist das Wollen ohnmächtig. Es ist damit offensichtlich, daß die fünf pathischen Kategorien eine Einheit sind. Sie bilden einen komplexen Zusammenhang. Wollen - Sollen - Können - Dürfen und Müssen widersprechen einander und kommen doch nicht ohne einander aus. Viktor von Weizsäcker hat diesen Zusammenhang mit dem Bild des fünfzackigen Sterns beschrieben, dem von ihm sog. „pathischen Pentagramm“ (V.v.Weizsäcker, 1956, S. 61). Das Pentagramm ist ein uraltes, was seinen ursprünglichen Sinn angeht, bisher nicht gedeutetes Symbol. Leider hat Viktor von Weizsäcker nicht genauer ausgeführt, wie er sich den pentagrammatischen Zusammenhang dachte. Deutliche ÜbereinstimmungUnschwer lassen sich nun die „pathischen Kategorien“ Viktor von Weizsäckers mit den „Big Five“ parallelisieren. Beide umschreiben jeweils die gleiche Dimension im menschlichen Wesen:
Wie jeder Mensch so oder so alle fünf pathischen Kategorien gebraucht, so wird es sich vermutlich auch mit den „Big Five“-Charakterzügen verhalten. Sie werden in jedem Menschen angelegt sein, doch kommen sie ungleichmäßig zum Zuge. Daraus ergibt sich die Vielfalt der Charaktere bzw. der Einseitigkeiten. Die vergessenen „Ideen“ eines PädagogenDie Einseitigkeiten in der Bildung und Erziehung wollte der Pädagoge Johann Friedrich Herbart (1776 - 1841), ein Freund und Schüler Pestalozzis, verhindern. Er war darauf aus, „eine harmonische Ausbildung aller Kräfte“ in einem Zögling zu fördern. Diese verschiedenen Kräfte wollte er genau erfassen und kam dabei auf „fünf praktische Ideen“ (Herbart, 1887, S. 335 f.) Es sind die Ideen der/des
In Hebarts Darstellung von 1808, die heute schwer lesbar ist, faßt jede der fünf „Ideen“ ein ganzes Spektrum von Fähigkeiten und Möglichkeiten in sich. Alle zusammen machen sie eine glückende Erziehung aus. Auch diese „Ideen“ entsprechen in der Reihenfolge, in der sie hier aufgeführt sind, deutlich den „Big Five“ und den „pathischen Kategorien“. Das Wesentliche an den Fingern abzählenDie drei beschriebenen Modelle sind sicher ganz unabhängig voneinander entstanden. Dennoch stimmen sie auffällig überein. Deutet dies hin auf ein Grundmuster, das den Menschen der abendländischen Kultur oder gar allen Menschen gemeinsam ist? Vertreter der Persönlichkeitspsychologie erwägen tatsächlich, die „Big Five“ seien ein Erbe der Evolution; denn diese fünf Charakterzüge hätten die menschliche Art im Kampf ums Überleben erfolgreich sein lassen. Solche Vermutung wird nun aus einer anderen Richtung überraschend, ja zunächst auf befremdliche Art gestützt. Es scheint eine Beziehung zwischen Körper und Geist zu geben, die bisher so nicht gesehen worden ist, jedenfalls nicht in den letzten 2000 Jahren. Aus den frühen Kulturen des vorderen Orients und Ägyptens sind Fingerreime erhalten. Sie dienen dazu, sich die fünf Gesichtspunkte, auf die es im Leben und für das Zusammenleben ankommt, „an den Fingern abzuzählen“, eine Art „Faustregel“. Das herausragende Beispiel eines solchen Fingerreimes oder einer Faustregel sind die bekannten Zehn Gebote der Bibel (II. Mose 20, 1 - 17). Diese folgen thematisch genau den zwei mal fünf Fingern, wie man sie spiegelsymmetrisch vor Augen hat, wenn man in die geöffneten Hände schaut. Die fünf Gesichtspunkte, die von den fünf Fingern vertreten werden, sind nun exakt die fünf aus den drei vorgestellten Modellen. Aber das ist nicht alles. Die fünf Gesichtspunkte sind den fünf Fingern nicht beliebig zugeordnet. Die eigentliche Überraschung besteht darin, daß jeder Finger in Gestalt und Funktion den von ihm vertretenen Gesichtspunkt gewissermaßen verkörpert:
An den fünf Fingern kann sich also jeder Mensch die „Big Five“ abzählen, die „pathischen Kategorien“ oder auch die „praktischen Ideen“ Herbarts. Dieser sehr auffällige Befund kann hier nur skizziert werden. An anderer Stelle habe ich ihn ausführlich dargestellt (Fincke, 1995 und 1997). Die „Faustregel“ in der AnwendungDas herrschende abendländisch-christliche Denken, das klar und grundsätzlich zwischen Geist und Körper trennt, sträubt sich freilich, die zuletzt beschriebene Beobachtung anzuerkennen. Stellt man dennoch solche Bedenken wenigstens versuchsweise einmal zurück und läßt sich auf die „Faustregel“ ein, so wird diese zu einer überraschend einleuchtenden und wirksamen Hilfe, wenn es darum geht, sich selbst klar zu werden oder Beziehungsprobleme durchsichtig zu machen. Die fünf Finger bilden beim Greifen eine ungeheuer komplexe Einheit.
Genauso lernt man nun zu sehen und zu „begreifen“, wie jene fünf
Gesichtspunkte oder Kategorien zusammenspielen und zusammengehören, obwohl
sie untereinander gegensätzlich erscheinen. Indem ein Mensch von einem
Finger zum anderen geht, wird schrittweise klar, was zusammengeführt werden
will bzw. woran es fehlt. Heben wir jene fünf Gesichtspunkte als Grundfähigkeiten bzw. -bedürfnisse heraus, so lautet die Reihe:
Diese fünf Grundbedürfnisse erfassen alles, was ein Mensch für sich und in der Beziehung zu anderen benötigt und wünschen kann. Man kann also mit der „Faustregel“ kurz und einfach fragen: „Wie steht es, wenn ich dies oder das tue oder lasse; Anhand der „pathischen Kategorien“ V.v.Weizsäckers geht es noch kürzer: Der Mensch und seine HandDie Befragung der fünf Finger ist also in dreifacher Hinsicht wirksam, individuell, transpersonal und spirituell. Sie erschließt zum Einen die ganz persönliche Situation in ihrer einzigartigen Vielfalt. Das Bild ist nie vollständig, jeder Durchgang durch die Hand liefert neue Nuancen und Bewegung, aber immer bekommt man wertvolle Einsichten. Zugleich weist jede Anwendung der „Faustregel“ über den persönlichen Horizont hinaus. So oft ein Mensch sie gebraucht, benutzt er eine „handfeste“, unmittelbar körperliche Vorgabe, macht er sich nicht abhängig von einem gedanklichen Konstrukt. Es gibt nichts, was ihm mehr eigen wäre als eigener Leib, und was doch zugleich allen Menschen anvertraut ist. Menschliches Wesen ist die nie endende Bewegung, in der jene fünf zusammenkommen wollen, sollen können usw. (Fincke, 1995). Damit öffnet sich drittens ein Weg zum Geheimnis des Menschseins. Er wurde in alten Zeiten schon begangen, ist später aber in Vergessenheit geraten oder vergessen gemacht worden (Fincke, 1997, S. 200). Folgen wir dem erwähnten Hinweis Viktor von Weizsäckers auf das „pathische Pentagramm“ und übertragen die menschliche Hand auf dieses kulturgeschichtlich interessante Zeichen, so gewinnen wir erstaunliche Übersicht. Wie in einem Kristall werden die vielen unterschiedlichen und widersprüchlichen Beziehungen zwischen den „großen“ fünf Bedürfnissen, Kategorien oder Ideen bis in alle Einzelheiten und Verästelungen sichtbar. Sie sind einander entgegengesetzt, bringen einander in Bewegung, bedingen und brauchen sich gegenseitig, wie eine eigene Betrachtung leicht ergibt. Auf eine ausführliche Beschreibung des Ganzen kann auch hier nur verwiesen werden (Fincke, 1995 u. 1997, S. 125 - 149).
Literatur:Fincke, E. (1997): Die Wiederentdeckung der sozialen Intelligenz; Radius, Stuttgart. Herbart, J.F. (1887): Allgemeine practische Philosophie; Joh.Fr.Herbarts sämtliche Werke Bd. 2; Hermann Beyer, Langensalza. McCrae, R.R., Costa, P.T. (1990): Personality in Adulthood; Guilford Press, New York-London. Paulus, J. (1999): Big Five, die wahren Grundlagen der Persönlichkeit? In: Psychologie heute 1/99, 44-49. Weizsäcker. V.v., (1956): Pathosophie; Vandenhoeck/Ruprecht, Göttingen. |
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http://bs.cyty.com/fingerreim/de/orientierung/big-five/index.shtml, Stand: 11. October 2012,
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