Home Bücher - Kontakt - Impressum
Eine Einführung
english Praktische Orientierung
Recht
Religion
Anthropologie
 
Big Five und fünf kleine Finger
Die Praxis der ökologischen Balance
Die Beziehung zum Leib
Wie Freiheit, Glück und Ökologie zusammengehen

Die Beziehung zum Leib

Was ist emotionale Intelligenz?

Eberhard Fincke, Braunschweig

Die Stichworte „emotionale Intelligenz“ oder „soziale Intelligenz“ finden gegenwärtig viel Aufmerksamkeit. Allerdings kann man sie recht verschieden verstehen. In welchem Verhältnis stehen hier Emotionen und Intelligenz zueinander? Sind die Emotionen intelligent oder geht es darum, mit den Emotionen intelligent umzugehen?
Die herkömmliche psychologische Wissenschaft sieht ebenso wie die traditionelle christliche Denkweise die Emotionen im Gegensatz zur Intelligenz. „Sei nicht so emotional“ ist ein geläufiger Rat. Zu diesem Gegensatz ist es nicht zufällig gekommen; denn Emotionen haben es mit dem Leib zu tun. Alles, was Menschen fühlen, Angst, Trauer, Wut, Freude usw. äußert sich körperlich - innerlich als Schmerz, Übelkeit usw., und äußerlich in Bewegung, Gesichtsausdruck, Stimme usw.

Die Gefühle sind intelligent

Die direkte Verbindung der Gefühle mit dem Leib weist darauf hin, daß die Gefühle in der Evolution des Menschen sehr früh verankert sind. Die vorzeitlichen Ahnen müssen dann bessere Chancen gehabt haben zu überleben und sich fortzupflanzen, wenn sie viel Gefühl zeigten. Gefühlsäußerungen waren und sind immer noch das entscheidende soziale Bindemittel. Vor aller sprachlichen Mitteilung geben sie Auskunft über Befinden und Absichten, sodaß andere wissen, woran sie mit uns sind. Sie haben Verständnis, leisten Hilfe oder bringen sich in Sicherheit, je nach dem, was anliegt. Das einzelne Wesen ist auf diese Weise in der Gruppe oder Horde sicherer und kann sich leichter fortpflanzen. Bei den Menschenaffen, denen der Mensch durch gemeinsame Vorfahren sehr nahe verwandt ist, ist es genügend beobachtet worden, wie abhängig sie von den Sympathien oder der Achtung in der Gruppe sind. Lange Zeit muß es auch für den Menschen vorteilhaft, also intelligent gewesen sein, sich von den eigenen Emotionen leiten zu lassen. So gesehen sind die Emotionen selbst intelligent.

Das Bewußtsein tritt dazwischen

Nun sind freilich z.B. schon die Schimpansen bekannt dafür, daß sie es verstehen, andere Gruppenmitglieder zu täuschen. Sie sind in der Lage, ihren Gesichtsausdruck zu kontrollieren. Sie geben sich gleichgültig, machen sozusagen ein Pokerface, wenn sie in Wirklichkeit gegen andere etwas im Schilde führen (Frans de Waal, Der gute Affe, München 1997, Seite 92 ff.).
Schimpansen nehmen offenbar eigene Gefühle bewußt wahr. Jedoch scheint diese Fähigkeit bei den tierischen Verwandten des Menschen eng begrenzt zu sein. Den für sie lebenswichtigen Zusammenhalt mit ihrer Gruppe können sie damit nicht ernsthaft stören. Haben sie größere Konflikte mit Gruppenmitgliedern, so tragen sie diese offen aus und zeigen danach ebenso offen und unwillkürlich ein ausgeprägtes Versöhnungsverhalten. Diese Offenheit der Gefühle schützt das Leben aller Gruppenmitglieder und den Bestand der Gruppe am wirksamsten. Versteckte feindliche Gefühle machen schon die Schimpansen füreinander furchtbar gefährlich und grausam (Frans de Waal, Seite 202 ff.).

Der Mensch ist sich selbst gefährlich

Im Prinzip hat sich das nicht geändert, als der Mensch, wie wir ihn heute kennen, in Erscheinung trat. Allerdings war nun die Fähigkeit, die bei den Schimpansen anfangsweise zu beobachten ist, voll ausgebildet. Es ist die Fähigkeit, sich der eigenen Gefühlsäußerungen bewußt zu sein und sie zu kontrollieren. Seitdem können die Menschen einander schon wegen Meinungsverschiedenheiten oder wegen sexueller Rivalität nach dem Leben trachten.
Der Mensch ist dadurch das Lebewesen geworden, das den Tod des Gegners wollen und mit dem Einsatz wirksamer Waffen auch leicht erreichen kann. Angesichts dieser Gefahr hat er jedoch auch eine zusätzliche Hilfe entwickelt, um sich zu verständigen, die Sprache.

Dennoch hing auch weiterhin das Überleben der Gruppe und damit des Einzelnen davon ab, daß sich die Gruppenmitglieder untereinander nicht nur auf dem Umweg über die Sprache verstanden, sondern die Reaktionen des anderen unmittelbar wahrnehmen konnten. Es gab ja in der längsten Zeit menschlicher Existenz, in der sog. Steinzeit, keine höhere Instanz, die eingreifen würde, wenn Mord und Totschlag ausbrachen. Die menschliche Gesellschaft hatte Bestand und kam voran, nicht zuletzt deswegen, weil und so oft sie emotional zueinanderfand. Durch die Emotionen war man einander verständlich, Wut und Haß wurden aufgefangen durch Angst um das Leben und durch das Bedürfnis nach Frieden. Der Zorn des anderen konnte gut aufgenommen werden, weil er gerecht war.

Emotion und Intelligenz gingen also immer noch Hand in Hand. Wann immer die Intelligenz auf Täuschung setzte und auf die Entwicklung immer besserer Waffen, und die Zukunft verloren schien, fanden die Menschen den Frieden wieder, denn der Wille zum Frieden und die Angst vor dem Untergang führten sie zueinander.

Herrschaft bringt Emotion und Intelligenz auseinander

Emotion und Intelligenz trennten sich, als im Übergang zur Jungsteinzeit Könige an die Macht kamen. Die Gesellschaft wurde neu geordnet, von oben nach unten. Fortan war man nicht mehr auf das emotionale Einverständnis mit den Nachbarn angewiesen, sondern konnte Schutz und Hilfe von einer höheren Macht erwarten. Diese neue Art von Sicherheit und Frieden, die der König bot, mußte freilich teuer bezahlt werden. Der König war einem nur gewogen, wenn man sich von der besten, d.h. von der braven Seite zeigte. Die mächtigen, aber keineswegs untadeligen Herren sahen bei ihren Untertanen überhaupt nicht gern in ein zorniges, finsteres, oder auch nur ungläubiges Gesicht. Solche Emotionen, die früher lebenswichtig sein konnten, wurden nun lebensgefährlich. Der Leib mit seinen spontanen Regungen wurde als Verräter empfunden.

Die unbewegte Miene, die man früher nur gelegentlich aufsetzte, wurde nun im Machtbereich der Herrschaften zum Alltagsgesicht. Die herrschende Gesellschaftsordnung nötigte die Menschen, ihre Gefühle zu beherrschen. Bestimmte Emotionen wie Wut oder Zorn erschienen ganz unangebracht. Diese Kehrtwendung mußte naturgemäß dem Leib zu schaffen machen. Er war von der Evolution auf solche Anforderungen nicht vorbereitet worden. Weil er nicht anders konnte, als auch weiterhin die Gefühle nach außen zu bringen und übermäßige Kontrolle ihn krank machte, empfand der Mensch ihn als hinderlich, erklärte ihn für dumm. Damit begann eine lange Periode der Leibfeindschaft, die bis heute andauert.

Unterschiedliche Formen der Leibfeindschaft

Seitdem pendelt die Psychologie zwischen zwei Grundvorstellungen, die Plato und Aristoteles mit ihren Werken ausgearbeitet haben. Beide gehen davon aus, daß der Leib mit seinen Begierden das Leben schwer macht.

Die Schwierigkeiten, den Leib fügsam zu machen, brachte Plato dazu, ihn als ein Gefängnis zu sehen, in dem der Mensch im irdischen Leben gefesselt ist. Seine Intelligenz jedoch und manche gute Regung, die auch zu ihm gehört, befähigen den Menschen trotz dieser Gefangenschaft, der Sehnsucht nach vollkommener Wahrheit und Freiheit zu folgen und entsprechend zu leben.

Aristoteles dagegen hat die negative Beziehung zum Leib in eine Chance verwandelt und das Verhältnis umgedreht. Der dumme, schwerfällige Leib mit seinen widerspenstigen Gefühlen ist ganz offensichtlich ein Sklave, der einen Herrn braucht. Mit Hilfe seiner Intelligenz kann ihn der Mensch beherrschen und kontrollieren. Da hat Aristoteles allen psychologischen Theorien den Weg geebnet, die das Verhalten des Menschen studieren, um Normen und Methoden für Erziehung und Therapie abzuleiten. Der Leib mit den Gefühlen ist hier gewissermaßen ein wildes Pferd, das einen geschickten Reiter braucht. Je intelligenter der Reiter das Pferd, d.h. die Emotionen versteht und einsetzt, umso weiter kann er kommen.

Die Kritik an der Trennung wächst

Das Bild vom Reiter und vom Pferd bestimmt bis heute das Denken, wo das Stichwort „emotionale Intelligenz“ mit dem Buch von Daniel Goleman auf die Bestsellerliste gekommen ist (München 1995).
Eine Versöhnung der Intelligenz mit den Emotionen findet auch hier nicht statt. doch gewinnt die alte Einsicht an Boden, daß Denken und Fühlen zusammengehören und sich bedingen. Die herrschende Trennung der Gefühle von der Intelligenz ist eben künstlich und ein Irrweg. Dies hat der russische Psychologe Lew Vygotsky „einen der schwerwiegendsten und entscheidensten Fehler der traditionellen Psychologie erkannt“ (Andreas Huber, Emotionale Intelligenz, München 1996, S. 25). Gefolgt ist man ihm nicht oder nur zögernd. Immerhin beginnt jener Reiter langsam zu begreifen, daß sein Pferd höher und weiter springen kann, wenn er ihm die Zügel nicht so eng anlegt.
Viele Gefühle helfen dem Menschen, seine Ziele wirksamer zu erreichen, läßt er sie Hand in Hand gehen mit seinen logischen und berechnenden Fähigkeiten. Zahllose Psychologen bieten inzwischen ihre Dienste an, um einfühlsame Verkaufsstrategien zu trainieren, kreatives Sich-Vergessen zu vermitteln oder sog. positives Denken.

Dennoch entscheidet bei der emotionalen Intelligenz, wie sie Daniel Goleman darstellt, immer noch die Intelligenz, ob und welche Emotionen förderlich sind. Angst, Zorn oder Wut etwa gehören kaum dazu. Zorn und Wut soll man „in Schach halten“ (Goleman, S. 79) oder entschärfen (S. 83), wenn nicht gar meiden. Beherrschung ist also nach wie vor angesagt. Die Intelligenz bleibt der Herr, der Reiter.
Wohl fragt Daniel Goleman ausdrücklich: „Können Emotionen intelligent sein?“ (S. 64). Aber er beantwortet die Frage nicht direkt; denn von seiner Voraussetzung her kann sie auch nur teilweise bejaht werden. Intelligent sind Emotionen nur dann, wenn sie dazu verhelfen, mit dem täglichen Leben in einem modernen Industriestaat besser zurechtzukommen. Es geht da zumeist nicht um das Leben und die Chance der Fortpflanzung. Das schlichte Überleben ist weitgehend gesichert. Die optimale Anpassung dient vielmehr dem beruflichen und gesellschaftlichen Erfolg, dem Erwerb von Geld, Macht und Einfluß. Da ist es meistens nicht so intelligent, Wut, Zorn oder Angst zu zeigen. Folglich ist auch die psychologische Wissenschaft eher darauf aus, solche Regungen zu überwinden oder zu ver-meiden.

Lebensgefahr bringt die Wende

Unter den bisher herrschenden Verhältnissen gerät nun freilich das Leben immer mehr in Gefahr. Wenn die zivilisierte Welt so weiter wirtschaftet, wie in den letzten 200 Jahren und besonders in der letzten Hälfte dieses Jahrhunderts, ruiniert sie Boden, Luft, Wasser und die Energievorräte. Die menschlichen Lebensbedingungen nähern sich auf diese Weise wieder mehr denen der menschlichen Frühzeit an.
Damals bedrohten Hunger, Krankheit, Feinde u.a. sehr schnell das Leben selbst, nicht nur den Wohlstand. Fortgesetzt mußten die Menschen alle ihre lebensrettenden Fähigkeiten mobilisieren. Unter dem Druck der ökologischen Krisen werden heute die Emotionen in dieser Hinsicht wiederentdeckt. Wenn Menschen angesichts rasender Autos Angst haben, wenn andere im Stau stehend oder einen Parkplatz suchend eine Wut überkommt, wenn sie der Zorn packt, weil eine Flughafenerweiterung die Landschaft frißt oder sie durch den Fluglärm in Depression fallen, dann sind das nicht Zeichen mangelnder Anpassungsfähigkeit. Vielmehr meldet sich darin jene Intelligenz, die menschliche Existenz überhaupt möglich gemacht hat, die Intelligenz des Körpers. Sie öffnet den Blick für den Wahnsinn des Individualverkehrs, so daß immer mehr Menschen dazu kommen, das Autofahren zu unterlassen.

Es meldet sich neu eine Stimme, die gerade in der zunehmenden Orientierungsnot verläßlicher ist als alles andere. Der eigene Leib protestiert oder rebelliert gegen Zumutungen, die auf die Dauer lebensgefährlich sind. Vielleicht bedrohen diese Zumutungen nicht unmittelbar das eigene Leben, aber es ist sichtbar, daß die menschliche Gesellschaft auf Dauer nicht bestehen könnte, wollte man z.B. den Autoverkehr Europas oder der USA auf die ganze Erde ausdehnen.
Dieses Argument ist bekannt, aber es wendet sich eben an die logische Intelligenz. Damit kommt man bekanntlich nicht weit. Das menschliche Vorstellungsvermögen ist zudem sehr vom Bildungsgrad abhängig. Die Gefühle aber sind davon viel weniger bestimmt. Sie müssen nur befreit werden von dem Vorurteil, sie hätten hinter der logischen Intelligenz zurückzustehen und seien eher unvernünftig. Im Gegenteil, Wut, Angst und Zorn sind höchst berechtigt. Wer auch nur anfängt, in diesem Sinne die Intelligenz der Gefühle für möglich zu halten, gewinnt eine große Entschiedenheit in der Verfolgung einer sozialen und ökologischen Politik. Zugleich entsteht sehr viel Selbstgewißheit und Zuversicht über die eigene Position. Der Mensch kann also seinen Leib zurückgewinnen als einen verläßlichen Freund und Führer auf dem Weg zum Frieden.

Orientierung an der Hand

Freilich, die Wiederentdeckung der Gefühle ist ihrerseits gefährlich. Sie führt in die Irre, wenn die Gefühle nun gegen die Intelligenz ausgespielt werden. Man behauptet dann, gewisse Entscheidungen „aus dem Bauch heraus“ zu treffen oder sich einfach an der „Lust“ zu orientieren. Die Trennung der Gefühle vom Intellekt wird hier nur fortgesetzt, jetzt in scheinbarer Umkehrung der Rangfolge. Die Intelligenz beruft sich raffiniert auf ein Gefühl, um ein zweifelhaftes Verhalten zu begründen.

Gegen solchen Mißbrauch und andere Gefahren bietet der Leib wiederum eine überraschend einfach zu handhabende Orientierung.
Das Wort „Emotion“ gibt besonders deutlich zu verstehen, daß die Gefühle den Menschen wie ein „Motor“ in Bewegung bringen oder den Körper „motivieren“. Die Gestalt des Körpers kann nun aus der Gesamtheit dieser Bewegungen verstanden werden. In der Gestalt und Funktion der fünf Finger, das ist an anderer Stelle ausführlich dargestellt worden, (E. Fincke, Die Wiederentdeckung der sozialen Intelligenz Stuttgard 1997), lassen sich fünf Grund-Emotionen wiedererkennen:

Der frei bewegliche und greifende Daumen verkörpert den Drang nach Freiheit und danach, alles in den Griff zu bekommen.

Der Zeigefinger, der auf das Richtige deutet und das Falsche abweist, steht für das Streben nach Wahrnehmung bzw. Wahrheit.

Der Mittelfinger, der die Mittelachse der Hand bildet, vertritt das Empfinden für Gerechtigkeit, für Ausgleich und Ordnung.

Der Ringfinger, geht, obwohl groß und schön, nur mit seinen Nachbarn und verkörpert so die Liebe, den Wunsch nach Gemeinschaft.

Der kleine Finger, klein und verletzlich, steht für den unwiderstehlichen Drang zum Leben.

Mit diesen fünf Grund-Emotionen ist alles erfaßt, was den Menschen treibt. Da man sie sich sozusagen an den Fingern abzählen kann, läßt sich die Vielfalt der Gefühle bzw. Emotionen jederzeit leicht überschauen. Die Hand selbst mit ihren fünf Fingern leitet dazu an, sich nicht aus dem scheinbaren Chaos der Gefühle das Passende oder Genehme auszuwählen und anderes zu unterschlagen. Alle Fünf in Balance bilden die emotionale Intelligenz.

nach oben zeigende Hand
http://bs.cyty.com/fingerreim/de/orientierung/leib/index.shtml, Stand: 11. October 2012, jk