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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Die Geschichte der Pauligemeinde von 1930 - 1960

von Dietrich Kuessner

(Download des gesamten Textes als pdf hier)


Inhalt



Die Pauligemeinde am Ende der Republik
Die deutsch-christliche Phase 1933-1935
Die kooperative Phase der kirchlichen Mitte 1936 - 1945
Die Entfernung Pfarrer Goetzes aus dem Pauli-Pfarramt II 1938-1942
Pauligemeinde im Kriege
Das Kriegsende 1943 - 1945
Die Nachkriegszeit 1945 - 1949
Der volkskirchliche Aufschwung und Fragen in den 50iger Jahren
Anfragen durch Pastor Wilhelm Wedekind
Abschluß eines Geschichtsabschnittes


Die Pauligemeinde am Ende der Republik


1930 wurde in der Geschichte des Landes Braunschweig das Ende der Republik durch den spürbaren Wechsel von einer SPD Landesregierung zu einer bürgerlich-nationalsozialistischen Koalitionsregierung eingeleitet. Auch in der Landeskirche wurde der Wechsel bald spürbar: in den Schulen wurden wieder Schulgebete eingeführt, am Reformationstag 1930 war schulfrei und die bisher unerquicklichen Finanzverhandlungen mit der Landesregierung erfolgreich abgeschlossen. Einen erheblichen personellen Wechsel brachte auch die Wahl zum Landeskirchentag im Herbst 1929. Nach einer unerwartet hohen Wahlbeteiligung wurde die Hälfte der Abgeordneten ausgewechselt. Vorher hatten in den Kirchengemeinden im März 1929 die Kirchengemeinderatswahlen stattgefunden.

Die Leitungsebene – Kirchenvorstand und Pfarrer
Ein Wahlgang zur Kirchengemeinderatswahl im Frühjahr 1929 war in der Pauligemeinde wie in den meisten anderen Kirchengemeinden entfallen, weil nur so viele Kirchengemeinderatsmitglieder wie notwendig aufgestellt worden waren. Dem Kirchenvorstand gehörten 1929 an: Frau Käte Bodenstab, Lehrerin Anna Löhnefinke, Frl. Marie Lösekrug, Oberregierungsrat Dr. Karl Bode, Lehrer Ernst Ehrenberg , Oberpostsekretär i.R.. Otto Gifhorn, Kaufmann Emil Grosse, Kaufmann Ludwig Hauswaldt, Generalstaatsanwalt Wilhelm Holland, Stadtbaurat Karl Kellner, Rechnungsdirektor i.R. Karl Koennecke, Werkmeister H. Meyer, Werkmeister Karl Preer, Lokomotivheizer Hermann Reinhardt, Juwelier Ernst Ring. Schuldirektor Hermann Schellbach, Prokurist Julius Stieler, Arbeiter Hermann Streiff. - Ersatzpersonen: Frl. Emilie Bargen, Kaufmann W. Baltzer, Bankdirektor Emil Hintze, Studienrat Dr. Franz Klingenspor, Steueramtmann Otto Fickler, Rentner Theodor Pyllmann, Klempner Ferdinand Rieche, Malermeister Hermann Zimmermann, Oberpostschaffner Eduard Westphal. Beruflich stellte der Kirchenvorstand eine gute Mischung von Staatsbeamten, Handwerkern und Arbeitern dar. Erstaunlich war die Anzahl von vier Frauen, was auf eine rege Frauenvereinsarbeit in den drei Seelsorgebezirken hinweist. Die prägende Gestalt unter den Kirchenvorstandsmitgliedern war Generalstaatsanwalt W. Holland, der seit 1916 Provisor der Kirchenkassen war. Dieses Amt des Provisors hatte 1925 Emil Grosse übernommen und 25 Jahre lang bis in die Nachkriegszeit ausgeübt. Oberregierungsrat Bode war Chefstenograf des Braunschweiger Landtages und gehörte der kirchlichen Rechten an, die 1929 unter dem Namen „Christlich-sozialer Volksdienst“ zu den Wahlen des Landeskirchentages angetreten war.

Die Pauligemeinde war traditionell auch im Landeskirchentag stark vertreten. In die zweite Sitzungsperiode des Landeskirchentages waren 1929 nach einem heftigen Wahlkampf zwischen den drei kirchlichen Parteien wieder drei Mitglieder der Paulikirchengemeinde gewählt worden: Generalstaatsanwalt Wilhelm Holland, Archivdirektor Prof. Mack und Pastor Lagerhausen, alle drei für die Mittelpartei. Pastor Goetze, von der Fraktion der kirchlichen Rechten, war nicht erneut gewählt worden. Holland wurde wieder Präsident des Landeskirchentages und Mitglied der Kirchenregierung. Holland war auch Vorsitzender des Braunschweiger Stadtkirchentages. Pastor Lagershausen gehörte schon dem provisorischen Landeskirchentag 192o an und war 1922 -1929 Vorsitzender der Landespredigervereins gewesen.
Pastor Lagerhausen würdigte in einem „Nachwort zu den Landeskirchentagswahlen“ in dem Blatt der Mitte „Die Volkskirche“ die hohe Wahlbeteiligung und bemängelte die geringe Anzahl von Wahlräumen in größeren Gemeinden. Die Wahl 1929 hatte die starke Stellung, die die Pauligemeinde weit über die Grenzen ihrer Kirchengemeinde hatte, bestätigt.

Im Herbst 1929 wählte der Kirchenvorstand aus 27 Bewerbungen einstimmig den 35 jährigen Pfarrer Rudolf Schwarze zum dritten Pfarrer von Pauli und als Nachfolger des tödlich verunglückten Pastor Sinemus. Schwarze war Braunschweiger und in der Paulikirche von Pastor Warnecke konfirmiert worden, hatte den 1. Weltkrieg mit einer Kriegsverletzung überstanden und in Eutin vier Jahre lang seinen ersten Pfarrdienst absolviert. Am 19. Januar 1930 wurde er von Stadtkirchenrat Runte in Gegenwart des Kirchenvorstandes in sein Amt eingeführt.
Die drei Pfarrer bildeten eine vielversprechende Mischung der Generationen und Erfahrungen.
Der 68jährige Lagershausen war als Gründungsmitglied der tonangebende Senior und gehörte dem gemäßigt lutherischen Lager an, Goetze, 50 Jahre alt, bildete den liberalen Flügel und war, am Fuß leicht körperbehindert, der Streithahn unter den Braunschweiger Pastoren, die ihn scherzhaft wegen seiner scharfen polemischen Äußerungen gelegentlich als „Giftzwerg“ titulierten. Lagershausen und Goetze waren Anfang der 20iger Jahre mit mehreren anderen Pfarrern zusammen auch Parteimitglieder der rechtsliberalen Deutschen Volkspartei (DVP) gewesen. Mit Schwarze zusammen versorgten sie, wie dieser in der Chronik vermerkt, in „vorbildlich harmonischer Zusammenarbeit“ die große 20.000 Gemeindemitglieder umfassende Kirchengemeinde. Das Jahrbuch für die Evangelische Kirche in Deutschland des Jahres 1927/28 nannte für die Pauligemeinde 18.500 Seelen.

Der kirchliche Alltag
Die Gottesdienste waren nach Angaben der Pfarrer mit 200-300 an gewöhnlichen Sonntagen und über 500 an Festtagen gut besucht. Einmal im Monat war Abendmahlsgottesdienst. Goetze verwendete dazu Einzelkelche. Zu den besonderen Gottesdienste zählte der Silvesternachtgottesdienst, für den jeweils eine Gottesdienstordnung mit Liedern und Texten gedruckt wurde. Neu eingeführt wurde, daß die Paulikirche vom Mai bis September nachmittags geöffnet war, und am Donnerstag spielte zum Schluß der junge Organist Pleus eine Stunde die Orgel.
Die Konfirmanden wurden in drei Gruppen unterrichtet. Einer Nachricht zufolge trafen sich die Konfirmandenjungen bereits um 7 Uhr in der Jungenschule in der Commeniusstraße und die Mädchen um 15 Uhr im Konfirmandensaal zum einjährigen Konfirmandenunterricht. Am Ende des Unterrichtes fanden für alle drei Bezirke an einem Tag getrennte Konfirmandenprüfungen statt. Am darauf folgenden Sonnabend trafen sich die Konfirmanden der drei Bezirke um 14 Uhr, 15 Uhr und 16 Uhr zu Betstunden ein und wurden am folgenden Tag, dem Sonntag Palmarum, um 8 Uhr, 10 Uhr und 12 Uhr konfirmiert. In der anschließenden Karwoche nahmen die Konfirmanden und ihre Eltern an drei Abenden um 20 Uhr das erste Abendmahl im Rahmen einer Passionsandacht.
Nach der Konfirmation war Gelegenheit für die konfirmierte Jugend, sich weiterhin im Jungmädchenbund oder in der Jungmannschaft wöchentlich im Konfirmandensaal zu treffen. Die Jüngeren gingen zur Jungschar. Der Rektor der Mädchenschule an der Heinrichstaße Garbe gründete einen Mädchenchor, der am Sonntag auch im Gottesdienst sang. Dafür erhielten die Mädchen einige Pfennige.
Besonders rege war die große Gruppe der Christlichen Pfadfinder, die sich in den Elternhäusern der Pfadfinder trafen und später im Keller des Vereinshauses der Inneren Mission in der Peter Joseph Krahestraße ein eigenes Vereinszimmer einrichteten.

Jahr

Taufen

Trauungen

Konfirmanden

1929

132

85

243

1930

132

91

222

1931

121

83

155

1932

112

100

186

1933

127

139

123


Die Tabelle über die Amtshandlungen gibt einen Einblick in die Größe der Gemeinde und den Umfang der Arbeit der drei Pfarrer. Das Hauptgewicht lag auf der Gottesdienstgestaltung, dem Konfirmandenunterricht sowie auf Taufen, Trauungen und Beerdigungen. Die Anzahl der Beerdigungen können nicht aufgeführt werden, da in der Propstei Braunschweig für die einzelnen Kirchengemeinden keine Beerdigungsregister geführt wurden.
Die Massenkonfirmationen waren eine typische Veranstaltung wie sie von Massentaufen aus der Zeit vor 1900 bekannt und üblich waren. Um derlei Massengottesdienste sinnvoll zu verkleinern, waren die Johanniskirche und Paulikirche zu Jahrhundertbeginn gebildet worden. Aber es hatte sich wenig geändert und es war von Pastor Lagershausen auch nicht gewünscht. In seiner Jubiläumspredigt im September 1931 bedauerte er, daß die 28.000 Gemeindemitglieder umfassende Pauligemeinde in den zwanziger Jahren um 9.000 verkleinert worden war.
Pastor Schwarze hielt regelmäßig am Mittwoch eine Bibelstunde. 1932 legte er den Kolosserbrief aus.
In den Frauenhilfen der drei Bezirke trafen sich die älteren Gemeindemitglieder und ließen sich im Winterhalbjahr monatlich mit allgemeinbildenden Vorträgen, oft auch mit Lichtbildern unterhalten. „Alpenwanderung“, „der „Heidedichter Heinrich Eggersglüß“, „eine Reise ins Heilige Land“, „Goethe der Mensch“, „Hans Grimm, der deutsche Mensch und Dichter“, „ein Gang durch Alt-Braunschweig“ waren einige typische Themenabende. Im Sommerhalbjahr wurden Ausflüge in die nähere Umgebung veranstaltet. Die Männer trafen sich monatlich zu einem Vortragsabend für alle drei Bezirke. Die Veranstaltungen der Frauenhilfe und des Männervereins fanden mangels eines Gemeindehauses im Stadtparkrestaurant oder im Konfirmandensaal statt. In der Gemeindepflege waren seit mehr als einem Jahrzehnt die Schwestern Adele Ehringhaus und Emilie Fricke tätig.
Sie wohnten in der Olfermannstraße 10 und arbeiteten in der Gemeindepflege und kümmerten sich um Alte und Kranke.
So bot die Pauligemeinde ein gediegenes volkskirchliches Bild mit einem Angebot für alle Altersgruppen. Der Blick auf die bürgerlichen Mittelschichten war unverkennbar.

Höhepunkte im Quartier und Gemeindeleben
Ein Höhepunkt des Jahres 1930 waren die Evangelischen Bekenntnistage unmittelbar nach den Landtagswahlen. Sie waren eine Antwort auf eine gleichzeitig stattfindende Freigeistige Woche der Freidenkerbewegung. In Pauli fand wie in allen anderen Stadtkirchen am 28. September 1930 ein Festgottesdienst statt. Zwei Tage vorher hatte im Hofjäger Geheimrat Runkel über „Die Kirche im Kampf um Freiheit und Wahrheit“ gesprochen. Am Sonntag nachmittag trafen sich die Gemeinden im Keglerheim und Wilhelmsgarten zum Vortrag „Der Christ im Ringen der Gegenwart“ und abends war der Dom bei der Kundgebung mit Bischof Bernewitz vollständig überfüllt. Es herrschte in den Gemeinden Kirchentags- und Kirchenkampfstimmung.
Anläßlich des 25jährigen Bestehens der Pauligemeinde feierte die Kirchengemeinde im September 1931 ein mehrtägiges Kirchenfest mit Festgottesdiensten und Festversammlung im Hofjäger. Frauenhilfen, Männerverein und die Jugend fanden sich zusammen. Landesbischof Bernewitz gratulierte und sprach über „Kirche haben – Kirche sein.“ Lagershausen hatte im „Sonntagsgruß“, dem Wochenblatt für die Braunschweiger Kirchengemeinden, einen ausführlichen Rückblick auf die vergangenen 25 Jahre verfaßt, und dort war auch seine Festpredigt erschienen.
Einen Monat nach dem Gemeindejubiläum marschierten SA Kolonnen vom Franzschen Feld an der Paulikirche vorbei zum Schloßplatz, wo Adolf Hitler einen stundenlangen Vorbeimarsch von 100.000 SA Leuten aus dem ganzen Reich abnahm. Im sozialdemokratisch/liberal regierten Preußen waren derartige SA Aufmärsche verboten. Die Bewohner des großbürgerlichen Quartiers zeigten Sympathie und Reserve gegenüber der jungen Bewegung.
Noch im selben Monat am 31. Oktober 1931, begannen in der Stadt Braunschweig wie schon 1930 die Bekenntnistage. Am Sonntag, dem 1. November, fand in Pauli, wie in allen anderen Stadtkirchen, ein Festgottesdienst mit anschließendem Abendmahl statt. Danach war Turmblasen von den Türmen der Paulikirche, auch von Johannis, Andreas und Jakobi. Im Städtischen Konzerthaus in der Salzdahlumerstraße hielt der Evangelische Bund eine Bekenntnisfeier unter dem Thema „Dem Evangelium treu – Der Kampf um die deutsche Seele“. Das Jahr 1930 schien eine Wende anzudeuten. In Pauli traten acht frühere Dissidenten wieder in die Kirche ein. 1931 waren es dreißig und 1932 vierunddreißig Personen. Es war auch schon vorgekommen, daß bei den Taufeltern ein Teil oder gar beide Dissidenten waren, aber doch die Taufe ihres Kindes begehrten. Deutete sich ein Trend an?


Zum Teil 2: Die deutsch-christliche Phase 1933-1935




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Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Pogromnacht/Pauli_1930-1960-1.htm, Stand: Dezember 2006, dk